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C. Bezold:
Alter der babylonischen Astronomie nach den neuesten betr.
Publikationen wörtlich zitiert; der Hörer oder Leser fühlt so
vielleicht am besten den Grad von Beweiskraft, der ihnen a priori
zuzusprechen ist. Kugler hat nun soeben in einer trefflich ge-
schriebenen Monographie unter dem Titel »im Bannkreis Babels«
diese Auffassung vom Standpunkt des Astronomen aus im Ein-
zelnen widerlegt und dabei gelegentlich, z. B. bei der Beleuch-
tung der vermeintlichen »Venusphasen« mit beissendem Spott
nicht gegeizt 100). Auch dem unbefangenen Nichtastronomen ist
die Unmöglichkeit der Planetennamenvertauschung und sind die
Widersprüche, die sich bei der Annahme der Kenntnis der
»Präcession« in der babylonischen Datierungsweise ergeben
würden, augenfällig genug. Der Philologe darf dem aber noch
hinzufügen, dass die von den Panbabylonisten zum Beweis ihrer
Thesen fort und fort angeführten Texte aus der Bibliothek Assur-
banipal’s für Altbabylonien nicht verwendet werden dürfen,
solange das Alter ihrer Vorlagen nicht bestimmt ist, und ich
glaube in einer Abhandlung, die ich im letzten Sommer unserer
Akademie vorzulegen die Ehre hatte, gezeigt zu haben, dass
wenigstens eine Reihe dieser Texte — religiös-mythologischen
Inhalts — in ihrer jetzigen jForm recht wohl jung' sein kann,
dass also ihr angeblich hohes Alter von Fall zu Fall be-
wiesen werden müsste 101).
Wie auf dem Boden derselben Schulung erwachsene Ver-
treter der Assyriologie in der Bearbeitung einer ihrer Funda-
mentalfragen von einander so weit wie nur irgend möglich
differieren können, mag mit gutem Grund Befremden hervor-
rufen und lässt sich kaum mit der relativen Jugend unserer
Wissenschaft motivieren. Die einzig mögliche Erklärung der
Discrepanz zwischen den heute mitgeteilten Textbefunden und
der panbabylonistischen Auffassung liegt meines Erachtens in
dem Wesen und Ursprung des Panbabylonismus selbst, der
— wohlbemerkt — älter ist als die letztjährigen Entdeckungen
über babylonische Astronomie.
Allen Mythologien der Welt — so behaupten die Panbaby-
lonisten — liegt eine gemeinsame Urlehre zu Grunde, und zwar
die babylonische Astrallehre mit dem Schema: Himmelsbild -
Weltbild; Makrokosmos = Mikrokosmos. Weil nun diese Lehre
— so schlossen sie weiter — die Präcession des Frühlings-
punktes, die vierfache Offenbarung einer göttlichen Kraft in der
C. Bezold:
Alter der babylonischen Astronomie nach den neuesten betr.
Publikationen wörtlich zitiert; der Hörer oder Leser fühlt so
vielleicht am besten den Grad von Beweiskraft, der ihnen a priori
zuzusprechen ist. Kugler hat nun soeben in einer trefflich ge-
schriebenen Monographie unter dem Titel »im Bannkreis Babels«
diese Auffassung vom Standpunkt des Astronomen aus im Ein-
zelnen widerlegt und dabei gelegentlich, z. B. bei der Beleuch-
tung der vermeintlichen »Venusphasen« mit beissendem Spott
nicht gegeizt 100). Auch dem unbefangenen Nichtastronomen ist
die Unmöglichkeit der Planetennamenvertauschung und sind die
Widersprüche, die sich bei der Annahme der Kenntnis der
»Präcession« in der babylonischen Datierungsweise ergeben
würden, augenfällig genug. Der Philologe darf dem aber noch
hinzufügen, dass die von den Panbabylonisten zum Beweis ihrer
Thesen fort und fort angeführten Texte aus der Bibliothek Assur-
banipal’s für Altbabylonien nicht verwendet werden dürfen,
solange das Alter ihrer Vorlagen nicht bestimmt ist, und ich
glaube in einer Abhandlung, die ich im letzten Sommer unserer
Akademie vorzulegen die Ehre hatte, gezeigt zu haben, dass
wenigstens eine Reihe dieser Texte — religiös-mythologischen
Inhalts — in ihrer jetzigen jForm recht wohl jung' sein kann,
dass also ihr angeblich hohes Alter von Fall zu Fall be-
wiesen werden müsste 101).
Wie auf dem Boden derselben Schulung erwachsene Ver-
treter der Assyriologie in der Bearbeitung einer ihrer Funda-
mentalfragen von einander so weit wie nur irgend möglich
differieren können, mag mit gutem Grund Befremden hervor-
rufen und lässt sich kaum mit der relativen Jugend unserer
Wissenschaft motivieren. Die einzig mögliche Erklärung der
Discrepanz zwischen den heute mitgeteilten Textbefunden und
der panbabylonistischen Auffassung liegt meines Erachtens in
dem Wesen und Ursprung des Panbabylonismus selbst, der
— wohlbemerkt — älter ist als die letztjährigen Entdeckungen
über babylonische Astronomie.
Allen Mythologien der Welt — so behaupten die Panbaby-
lonisten — liegt eine gemeinsame Urlehre zu Grunde, und zwar
die babylonische Astrallehre mit dem Schema: Himmelsbild -
Weltbild; Makrokosmos = Mikrokosmos. Weil nun diese Lehre
— so schlossen sie weiter — die Präcession des Frühlings-
punktes, die vierfache Offenbarung einer göttlichen Kraft in der