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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 5. Abhandlung): Platos Staatslehre in der Renaissance — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32880#0012
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Eberhard Gothein :

veranl'aßte. Nicht so ernst nahm er es mit der Zahlenspekulation;
er macht sich sogar üher die vollkommene Zahl 8128 und die
daran sicli knüpfende Geheimnistuerei der Neuplatoniker etwas
lustig und ruft sich von gleichen Phantasiespielen mit den Worten
ah: ,;Nos autem cum Platone denique in re seria inextricabilique
ludentes satis confabulati sumus“. Llnter Picos Einfluß hätte
er gerade das nicht m:ehr getan; denn jener erfolgreichste Be-
streiter der fatalistischen Astrologie war um so empfänglicher
für mystische Zahlenspekulation.6)
6) Um FlClNUS’ philosophische Stellung richtig zu fassen, muß rnan
die Epochen seiner keineswegs geradlienig verlaufenden Gedankenentwicklung
unterscheiden. Seine vielseitig empfängliche, liebenswürdig nachgiebige Natur
gibt sich leicht den an ihn herantretenden Einflüssen hin, aber nicht ohne ein
starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit zu behalten. Die weihevolle Begeiste-
rung, die seine Zeitgenossen entzückte, blieb ihm stets treu. Er fühlt
sich innner als Priester und Prophet eines Größeren. Je älter er wurde, um
so besser stand ihm diese Rolle. Als Knabe hatte ihn Cosimo Medici. zum
Dolmetscher Platos erlesen, zu dieser einen Aufgabe, die schließlich auch sein
ganzes Leben bestimmt hat, sich ausbilden lassen. Bis zum Tode Cosimos blieb
er streng in dieser Richtung; alsdann aber — man möchte e's ein Atemschöpfen
nennen — nahm er eine plötzliche Wendung zu Epikur und verfaßte einen
Ivommentar zu Lukrez. Er hat sich später viel Mühe gegeben, diese Abschwen-
kung, die ihm die Gegner gründlich vorhielten, zu verleugnen. Auf die rasche
Überwindung dieser Episode folgt die Zeit platonischer Orthodoxie, des Zu-
sammenwirkens mit Lorenzo Medici und Politian. Scharfe Kritik des Aristo-
teles, ablehnende Stellung gegen die Scholastik kennzeichnet sie. Eine Wen-
dung bringt der Eintritt PlCOS in den Florentiner Freundeskreis. Er bedeutet
den wachsenden Einfluß des Neuplatonismus, die Abwendung von der Astrologie,
die billiger’e Würdigung der Scholastik, den allgemeinen Religionssynkretismus.
Den Abschluß bildet dann nach Lorenzo Medicis Tode die Unterordnung
unter Savonarola, dem sich auch FICINUS, wenn auch nicht so vollständig
wie PlCO, nicht ohne seufzende Rückblicke auf seine mediceische Yergangenheit,
hingibt. Hierin liegt die ungewollte Selbstkritik des Florentiner Platonismus,
die in unsern Augen für die Macht Savonarolas mehr besagt als der nicht
allzu nachhaltige Begeisterungssturm, zu dem er das Volk von Florenz hinriß,
was andern Bußpredigern auc.h gelungen -wäre. Da MARSILIUS FlCINUS doch
keine Ansprüche als selbständiger Philosoph erheben kann, sondern uns nur
als reiner Spiegel des Besten seiner Zeit gilt, da wir ihm also mehr in der
Kulturgeschichte als in der Geschichte der Philosophie seinen Platz anweisen,
macht ihn diese Empfänglichkeit nur wertvoller. Auch jenes Zwischenspiel
des Hedonismus, das dem Florentiner so nahe lag, hat ihm nur zur Bereiche-
rung seines Schönheitsgefühls, dem sympathischen Zug seiner Philosophie,
geholfen. Und liegt nicht vielleicht in Plato selber ein Zug zum Iledonismus,
den er streng bändigte, wie er den Dichter in sich in Zucht nahm und deshalb
verleugnete? Ahnt man diesen Zug nicht im Lysis, im Phädrus, vor allem
 
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