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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 5. Abhandlung): Platos Staatslehre in der Renaissance — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32880#0024
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24

Eberharcl Gothein :

doch läßt es uns in die Sinnesart dieser Platoniker einen Ein-
blick tun, als ob sich plötzlich eine Falte verrücke: Man hatte
dem Denken eine neue Orientierung, eine neue Form, einen we-
sentlich erweiterten Inhalt gegeben, aher man brach weit weniger
als man es selber dachte, den Faden ah, der es an die nächste
Vergangenhei t knüpfte.
Die weitere Entwicklung der Staatswissenschaft sollte weder
in noch außerhalb Italiens in den Bahnen Platos, in die sie die
Florentiner gern hätten leiten wollen, verlaufen. Weit fruch't-
barer hatte sich schon im 14. Jahrhundert hierfür die Wieder-
belebung des Aristoteles gezeigt, nicht des „maestro di color
che sanno“, des scholastisch systematisierten Aristoteles, sondern
eines lehensvoll aufgefaßten, der psychologischen Reichtum,
reiche Beobachtung praktischer Vorgänge, eine handliche Ver-
fassungslehre bot, der sich so bequem mit der Fülle historischer
und praktischer Beispiele weiter ausstatten ließ, der dazu heraus-
forderte, die Lebensbeohachtung weiterzuführen. So taten es
Ficinns’ Zeitgenossen Patricius und Pontan und gewannen damit
sogleich beträchtlichen Einfluß. Im 16. Jahrhundert führen als-
dann von Macchiavelli und Guicciardini zahlreiche Fäden zu
Aristoteles, kaum einer zu Plato.
Aher es gah noch eine andere Möglichkeit, die platonische
Staatslehre aufzufassen. Man konnte unumwünden ihre Undurch-
führbarkeit und Unwirklichkeit einräumen und gerade damit diese
genialen Ivonstruktionen ins Reich der Idee retten. In Platos
Sinne war das wohl wenig; ihm ist es heiliger Ernst gewesen
um seine Sache; aher auch er hatte doch mehr als einmal die
Form des Staatsromanes versucht, der nicht die Dinge schildert
wie sie gewesen sind, sondern wie sie etwa hätten sein können
und sein sollen; aher er hatte diesen Plan nicht durchgeführt.
Für diese Versuche hatte Fieinus gar keinen Sinn besessen. Er
hatte zwar mit Recht gegen neuplatonische allegorische Umdeu-
tungen betont, daß Plato hier wirklich eine Geschichtserzählung
geben wolle, aber er hatte diese im Timaeus wie im Ivritias auf
Treu und Glauben für wahr angenommen. Wo es damals schon
Staatsromane gab, folgten sie wie Leon Battista Albertis Mornus
lieher dem leicht nachzuahmenden Muster Lucians. Etwas vom
Esprit Lucians, die Wirklichkeit auf den Ivopf zu stellen, das
Ernste leicht, das Leichte ernst zu nehmen, alles anzuregen und
sicli zu nichts zu verpflichten, bedurfte es, um auch den schwer-
 
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