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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 8. Abhandlung): Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32883#0017
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Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen. 17
nicht anders durchzusetzen verstanden hat, als indem sie ihm
das konträre Gegenteil dieses selhen Muß vortäuschte.
Soviel dafür, daß die deterministischen Lehren uns unglaub-
lich dünken; schädlich, und darum verwerflich, aber erscheinen
sie, sobald man sich den Betrachtungen ihrer Folgen zuwendet.
Wo das jede Wahlfreiheit ausschließende „Muß“ herrscht, kann
kein „Soll“, das eben diese Wahlfreiheit zur Voraussetzung hätte,
bestehen. Damit ist gegeben, daß wenn in einer indeterministisch
geordneten Welt die deterministischen Lehren allgemeine An-
erkennung fänden, einstweilen jedes Soll als nicht existent zu
behandeln wäre. Negation des Soll aber wäre Negation jeder
Moral, auch der religiösen. Üherhaupt ist kaum abzusehen, wie
der echte Determinismus mit den religiösen ßedürfnissen der
Menschen auszukommen vermöchte: Sittenlehre undenkbar, und
die Glaubenslehre beschränkt auf die Annahme eines vielleicht
noch allwissenden, aber seit dem großen Prädestinierungsakte
vöilig ohnmächtigen Gottes. Und neben der Verleugnung ailer
Pflichten und der Möglichkeit, wider solche zu verstoßen, stünde
auf der andern Seite die Negation jeder individuellen Begabung,
mit der Möglichkeit, selber zu vollbringen was andere zu votl-
bringen nicht vermocht: Aeschylos und Sophokles, Plato, Aristo-
teles, Alexander und Cäsar, desgleichen Shakespeare und Goethe,
wie Friedrich II. und Napoleon, lauter gemeine Menschen wie
alle anderen, denn selber hätte von allen Iveiner etwas volt-
bracht, und nur in den Augen des Raritätensammlers steigert
sich der Wert des Sprachrohrs nach dem Gebrauche, zu dem
es gedient hat.
Das Recht wäre gründlich zu reformieren. Strafrecht? aber
Strafe setzt Schuld, Schuld ein verletztes Soll voraus, und wie
könnte dies neben dem ailgemeinen Muß hestehen? Der ganz
wider seinen Willen aus dem Fenster Geworfene, der auf einen
Dritten gefailen und diesem den Hals gebrochen, stünde dem
gemeinsten Lustmörder und dem raffmiertesten Betrüger gieich:
alle Drei gleich schuldig oder vielmehr unschuldig. Auf Motive,
Charakter usw. käme nicht mehr an als auf die Farbe und Be-
schaffenheit der Schnüre, mit denen die Marionetten zum T'anzen
gehracht werden. Jeder ist mit gewissen Charakteraniagen ge-
boren, für die man ihn am wenigsten verantwortlich machen
kann. Im Leben hat dann sein ganzes Tun und Leiden unter
der zwingenden Notwendigkeit gestanden; so ist er geworden,

Sitzung-sberichte der Heidelb. Akademie, pbilos.-hist. Kl. 1912. 8. Abh.

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