Über Sinn und Wert des Phänomenalismus.
13
das wahrhaft Seiende gilt nicht das Erlebte, sondern das Yer-
langte, nicht das Erfahrene, sondern das Gedachte.
Dieser metaphysiscji erweiterte Phänomenalismns wurzelt
also schließlich in demselben Denkmotiv wie der naturwissen-
schaftliche: beide folgen aus dem Postulat der Theorie, hier der
mathematischen, dort der logischen. Darum ist es für das Ver-
ständnis dieser Zusammenhänge von höchstem Interesse, wie
sich beide Gedankengänge verbunden haben, um bei Kant zu
der umfassendsten Form des Phänomenalismus zu führen, und
in dieser Beziehung ist seine Inauguraldissertation das entwick-
lungsgeschichtlich bedeutsamste Dokument. Hier verknüpft Kant
die beiden Elemente seiner philosophischen Jugendbildung, die
Lehren von Newton und von Leibniz, deren Äntagonismus bei
ihm schon vorher in mehrfachen Verschiebungen sich geltend
gemacht hatte, zu einem eigenartigen System, das dann schließ-
lich nur die Vorstufe für seinen Kritizismus bilden sotlte: er
meint, daß die naturwissenschaftliche Theorie wesentlich durch
Abstraktion aus der Wahrnehmung auf dem formal-logischen Wege
(dnrch den „usus logicus rationis“) erwachse, daß sie aber eben
deshalb sich auf die Erschein!lmgen (mundus sensibilis phaeno-
menon) beschränke, während die auf den reinen Begriffen des
Verstandes, den später sogenannten Kategorien beruhende Meta-
physik, die freilich noch zu schaffen bleibe (als „usus realis
rationis“), die absolute Wirklichkeit (mundus intelligibilis nou-
menon) zu erfassen berufen sei. Über diesen Standpunkt ist
Ivant durch eine doppelte Erkenntnis hinausgeführt worden. Einer-
seits sah er ein, daß auch die mathematische Theorie der Natur-
forschung nicht bloß den diskursiven und reflexiven, sondern
auch den konstitutiven Verstandesgebrauch durch Kategorien
voraussetzt, wie es durch die Kritik der reinen Vernunft in den
„Grundsätzen des reinen Verstandes“ formuliert wurde: anderer-
seits überzeugte sich Kant davon, daß auch die Kategorien aus
sich allein kein inhaltlich met.aphysisches Wissen erzeugen,
sondern ihre Bedeutung als Erkenntnisprinzipien erst durch
ihre Anwendung auf das Material der Erfahrung, auf eine
anschaulich gegebene Mannigfaltigkeit gewinnen können. Da-
mit war die Newtonsche Theorie erst vollständig begründet, aber
dafür nicht nur die Leibnizsche Metaphysik, sondern alle Meta-
physik überhaupt preisgegeben, und für die theoretische Philo-
sophie der Standpunkt des absoluten Phänomenalismus erreicht.
13
das wahrhaft Seiende gilt nicht das Erlebte, sondern das Yer-
langte, nicht das Erfahrene, sondern das Gedachte.
Dieser metaphysiscji erweiterte Phänomenalismns wurzelt
also schließlich in demselben Denkmotiv wie der naturwissen-
schaftliche: beide folgen aus dem Postulat der Theorie, hier der
mathematischen, dort der logischen. Darum ist es für das Ver-
ständnis dieser Zusammenhänge von höchstem Interesse, wie
sich beide Gedankengänge verbunden haben, um bei Kant zu
der umfassendsten Form des Phänomenalismus zu führen, und
in dieser Beziehung ist seine Inauguraldissertation das entwick-
lungsgeschichtlich bedeutsamste Dokument. Hier verknüpft Kant
die beiden Elemente seiner philosophischen Jugendbildung, die
Lehren von Newton und von Leibniz, deren Äntagonismus bei
ihm schon vorher in mehrfachen Verschiebungen sich geltend
gemacht hatte, zu einem eigenartigen System, das dann schließ-
lich nur die Vorstufe für seinen Kritizismus bilden sotlte: er
meint, daß die naturwissenschaftliche Theorie wesentlich durch
Abstraktion aus der Wahrnehmung auf dem formal-logischen Wege
(dnrch den „usus logicus rationis“) erwachse, daß sie aber eben
deshalb sich auf die Erschein!lmgen (mundus sensibilis phaeno-
menon) beschränke, während die auf den reinen Begriffen des
Verstandes, den später sogenannten Kategorien beruhende Meta-
physik, die freilich noch zu schaffen bleibe (als „usus realis
rationis“), die absolute Wirklichkeit (mundus intelligibilis nou-
menon) zu erfassen berufen sei. Über diesen Standpunkt ist
Ivant durch eine doppelte Erkenntnis hinausgeführt worden. Einer-
seits sah er ein, daß auch die mathematische Theorie der Natur-
forschung nicht bloß den diskursiven und reflexiven, sondern
auch den konstitutiven Verstandesgebrauch durch Kategorien
voraussetzt, wie es durch die Kritik der reinen Vernunft in den
„Grundsätzen des reinen Verstandes“ formuliert wurde: anderer-
seits überzeugte sich Kant davon, daß auch die Kategorien aus
sich allein kein inhaltlich met.aphysisches Wissen erzeugen,
sondern ihre Bedeutung als Erkenntnisprinzipien erst durch
ihre Anwendung auf das Material der Erfahrung, auf eine
anschaulich gegebene Mannigfaltigkeit gewinnen können. Da-
mit war die Newtonsche Theorie erst vollständig begründet, aber
dafür nicht nur die Leibnizsche Metaphysik, sondern alle Meta-
physik überhaupt preisgegeben, und für die theoretische Philo-
sophie der Standpunkt des absoluten Phänomenalismus erreicht.