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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0015
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Über Sinn nnd Wert des Phanomenalismus.

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zwei anderen Kategorien verfolgen, die beide in das Verhältnis
von Wesen und Erscheinung und deshalb aucli in die Cteschichte
des P-hänomenalismus hineinspielen: den Kategorien der Inhärenz
und der Kausalität.
Das Verhältnis des Dinges zu seinen Eigenschaften und Zu-
ständen geht wohl in unserm Sprechen und Denken am leichtesten
und häufigsten in das Verhältnis von Wesen und Erscheinung
über. So reden wir von den wechselnden Zuständen, von den
vielspältigen Eigenschaften als den objektiven „Erscheinungs-
formen“, in denen sich das dauernde, einheitliche Wesen des
Dinges darstelle und ausdrücke. Die Attribute und die Modi
sind in diesem Sinne die Erscheinungen der Substanz. In meta-
physischer Wendung pflegt diese Auffassung dem modernen
Denken als die des Spinozismus geläutig zu sein, der als typischer
Ausdruck des Pantheismus alles Endliche und Bestimmte als
Theophanien, als Erscheinungen des göttlichen Wesens behandelt.
Aber gerade der Spinozismus ist in steter Gefahr, zum absoluten
Phänomenalismus zu werden. Denn sobald die Attribute, aus
denen nach ihm die Substanz „besteht“, von Gott selbst noch
in dem Sinne unterschieden werden sollen wie im empirischen
Denken das Ding von seinen Eigenschaften, so wird die Substanz
selbst zur leeren Form der Substantialität und Gott so völlig un-
bestimmt und unaussagbar wie von jeher in der negativen Theo-
logie der Mystik. Das „Unendliche“ hat dann nicht bloß die
quantitative Bedeutung des Grenzenlosen, sondern, wie in ge-
wissem Sinne schon das dTteipov des Anaximandros, den meta-
physisch bedeutsameren Sinn des Unbestimmten, des döpiaiov.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt man, wenn die naive
Struktur des Dingbegriffes über seine wissenschaftliche Umbildung
hinaus ins Absolute gesteigert werden soli. In dem Haufen
von Bestinnnungen, welche für das unmittelbare Auffassen die
Merkmale des Dinges ausmachen, unterscheidet die gliedernde
Analyse der empirischen Erkenntnis den Kern von wesentlichen
Eigenschaften, die ihm dauernd zukommen, von den unwesent-
iichen, zustandshaften Bestimmungen, die sich ändern können,
ohne daß dadurch die Identität des Dinges gefährdet würde,
als den Modifikationen, in denen jenes Wesen nur seine wandel-
baren Erscheinungen hat. So formen sich die Substanzbegriffe
der verschiedenen Wissenschaften. Beflektiert man aber darüber
hinaus noch darauf, daß Sprache und Denken immer noch wieder
 
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