Des Athanasius Werk über das Leben des Antonius.
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und kulturlosen Mönch schilderte, ein ganz Neues hereingebracht:
die Frömmigkeit ergänzt nicht die Philosophie, sie ist die Philo-
sophie und gibt allein die φρόνησες, die wahrhaft frommt 1. Das
Bild ist trotz jener Inkonsequenzen nicht nur einheitlich, sondern
trotz der heidnischen Quellen bis ins kleinste auch christlich emp-
funden, und selbst die Menschengröße, die es schildert, erscheint
doch wieder nur als Gottes Werk. Die Einheitlichkeit dieser Um-
gestaltung und Ausgestaltung läßt sich nur aus einer starken
Individualität des Schriftstellers erklären. Man kann diese bis
ins Innerste gehende Umschmelzung in Einzelnachweisen ja nicht
zur Empfindung bringen, und zum Predigen hat der Philologe nicht
den Beruf oder das χάρί,σμα. Aber der beste Beweis ist wohl die
Wirkung, welche das Werk von seinem ersten Erscheinen an geübt
hat und noch heut auf den unbefangenen Leser übt. Es würde
nicht genügen, wenn man sagt, Athanasius habe, weil er selbst
jahrelang mit den Mönchen gelebt habe, dem Bilde des Antonius
eine Anschaulichkeit geben können, wie sie z. B. Philostratus in
dem langatmigen und leblosen Bericht von Apollonius nie erlangt;
denn Athanasius gibt ja nicht eine Schilderung bestehender Ver-
hältnisse, sondern zeichnet ein Ideal, an dem er selbst inneren
Anteil genommen haben muß und das in ihm lebendig geworden
sein muß. Man könnte eher vermuten, daß der vielgeschäftige,
leidenschaftliche, in geisthch-weltlichen Kämpfen zerriebene Bi-
schof ein Bild dessen entwerfe, was ihm selbst fehlt und was er
— wenigstens zeitweise — schmerzlich ersehnt. Nur ist mir von
dem Gefühlsleben gerade des Athanasius viel zu wenig erkennbar,
um eine solche Vermutung näher begründen zu können.
1 Das Eintreten der Frömmigkeit für die Philosophie ist gewiß not-
wendig, sobald in Literatur oder Leben das Pythagoras-Ideal in eine Religion
übertragen wird (vgl. Philo über die Therapeuten). Dennoch ist es ganz eigen-
artig, wenn Athanasius seinen Helden zwar ohne jeden Unterricht aufwachsen,
aber durch die Frömmigkeit eine innere Bildung und Feinheit des Geistes
erlangen läßt, die selbst die Philosophen entzückt. Es ist nicht die γνώσις,
sondern die natürliche Entfaltung der im Menschen liegenden Gaben. Man
muß die Erzählungen von Paulus dem Einfältigen vergleichen, die alles
Wissen, auch auf religiösem Gebiet, als gleichgültig oder schädlich neben der
bloßen Askese hinstelien, um zu erkennen, daß hier dennoch ein Empfinden
für die humanitas waltet, wenn auch Athanasius zu seinem Mönchtum auch
den ungebildeten Fellachen ruft und an dem Mönchsstaat rühmt, daß in ihm
der Steuereintreiber fehlt (c. 44 p. 908 B). Als eigentümlich gegenüber dem
Pythagoras-Bilde mag auch die starke Betonung der Freudigkeit hervor-
gehoben werden; 'das προαος χαίρειν (Jamblich 196) vertieft sich zu der
Seligkeit der Gottesnähe.
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und kulturlosen Mönch schilderte, ein ganz Neues hereingebracht:
die Frömmigkeit ergänzt nicht die Philosophie, sie ist die Philo-
sophie und gibt allein die φρόνησες, die wahrhaft frommt 1. Das
Bild ist trotz jener Inkonsequenzen nicht nur einheitlich, sondern
trotz der heidnischen Quellen bis ins kleinste auch christlich emp-
funden, und selbst die Menschengröße, die es schildert, erscheint
doch wieder nur als Gottes Werk. Die Einheitlichkeit dieser Um-
gestaltung und Ausgestaltung läßt sich nur aus einer starken
Individualität des Schriftstellers erklären. Man kann diese bis
ins Innerste gehende Umschmelzung in Einzelnachweisen ja nicht
zur Empfindung bringen, und zum Predigen hat der Philologe nicht
den Beruf oder das χάρί,σμα. Aber der beste Beweis ist wohl die
Wirkung, welche das Werk von seinem ersten Erscheinen an geübt
hat und noch heut auf den unbefangenen Leser übt. Es würde
nicht genügen, wenn man sagt, Athanasius habe, weil er selbst
jahrelang mit den Mönchen gelebt habe, dem Bilde des Antonius
eine Anschaulichkeit geben können, wie sie z. B. Philostratus in
dem langatmigen und leblosen Bericht von Apollonius nie erlangt;
denn Athanasius gibt ja nicht eine Schilderung bestehender Ver-
hältnisse, sondern zeichnet ein Ideal, an dem er selbst inneren
Anteil genommen haben muß und das in ihm lebendig geworden
sein muß. Man könnte eher vermuten, daß der vielgeschäftige,
leidenschaftliche, in geisthch-weltlichen Kämpfen zerriebene Bi-
schof ein Bild dessen entwerfe, was ihm selbst fehlt und was er
— wenigstens zeitweise — schmerzlich ersehnt. Nur ist mir von
dem Gefühlsleben gerade des Athanasius viel zu wenig erkennbar,
um eine solche Vermutung näher begründen zu können.
1 Das Eintreten der Frömmigkeit für die Philosophie ist gewiß not-
wendig, sobald in Literatur oder Leben das Pythagoras-Ideal in eine Religion
übertragen wird (vgl. Philo über die Therapeuten). Dennoch ist es ganz eigen-
artig, wenn Athanasius seinen Helden zwar ohne jeden Unterricht aufwachsen,
aber durch die Frömmigkeit eine innere Bildung und Feinheit des Geistes
erlangen läßt, die selbst die Philosophen entzückt. Es ist nicht die γνώσις,
sondern die natürliche Entfaltung der im Menschen liegenden Gaben. Man
muß die Erzählungen von Paulus dem Einfältigen vergleichen, die alles
Wissen, auch auf religiösem Gebiet, als gleichgültig oder schädlich neben der
bloßen Askese hinstelien, um zu erkennen, daß hier dennoch ein Empfinden
für die humanitas waltet, wenn auch Athanasius zu seinem Mönchtum auch
den ungebildeten Fellachen ruft und an dem Mönchsstaat rühmt, daß in ihm
der Steuereintreiber fehlt (c. 44 p. 908 B). Als eigentümlich gegenüber dem
Pythagoras-Bilde mag auch die starke Betonung der Freudigkeit hervor-
gehoben werden; 'das προαος χαίρειν (Jamblich 196) vertieft sich zu der
Seligkeit der Gottesnähe.