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Soltau, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 6. Abhandlung): Das vierte Evangelium in seiner Entstehungsgeschichte dargelegt — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34077#0013
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Das vierte Evangelium.

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der damit den realen Vorgängen offenbar ferner steht. Sie machen
es auch durchaus wahrscheinlich, daß hier nicht etwa Zusätze
eines späteren Korrektors vorliegen; vielmehr hat der Evangelist
selbst auf Grund eines s.chriftlichen Berichtes seine Verbesserun-
gen und tieferen Erklärungsversuche angebracht.
Schon aus dieser äußeren Gestalt des Evangeliums ergibt sich
also, welche Aufgabe die Forschung zu lösen hat: sie hat dort ein-
zusetzen, wo die Nähte hervortreten, welche zwischen den einzeh
nen Teilen bestehen und nur äußerlich überklebt sind, und sie
hat den besonderen Quehen nachzuforschen, auf welchen jene nur
äußerlich eingefügten Berichte beruhen. Es ist zunächst der Nach-
weis zu erbringen, woher der Inhalt von R stammt; sodann sind,
soweit möglich, die weiteren Quellen nachzuweisen, aus denen die
wichtigstenErzählungen desEvangeliums gefiossen sind. Erst dann
kann auf die besondere Tätigkeit des Evangelisten und ihre Eigen-
art näher eingegangen werden. Dann auch wird die Scheidung
von ursprünglichen und sekundären Elementen möglich sein, und
doch dabei die Einheitlichkeit der Bearbeitung festgehalten werden
können.

II.
Die Tatsache, daß die einzelnen Teile von R rein äußerlich,
ähnlich wie schriftstellerische Interpolationen, in die Erzählung
eingeschoben sind, genügt allein noch nicht, um ihre sekundäre
Herkunft zu erweisen. Die Analogie, wie die Logia ins erste und
dritte Evangelium eingeschoben sind, und doch dabei kein Zweifel
an ihrer originalen Herkunft bestehen kann, zeigt, wie vorsiclitig
man bei der Annahme von bloßen Interpolationen sein muß —-
zumal bei biblischen Schriften, wo lieber das Bestehen solcher
Inkongruenzen mit in den Kauf genommen, als der Wortlaut
religiös hocbgeschätzter Dokumente preisgegeben wird.
Die Gründe dafür, daß R aus einem anderen Zusammenhange
erst nachträglich in das vierte Evangelium eingelegt sind, sind
jedoch so schwerwiegender Art, daß es unmöglich sein wird, ihre
Tragweite zu bestreiten.
I. Es ist undenkbar, daß ein begabter, urteilsfähiger Schrift-
steller, wie Ev. es war, neben der ausführlichen Wiedergabe der
Reden beständig einzelne Gedanken oder ganze Sprüche und
Erörterungen aus ihrem Zusammenhange in sein Evangelium auf-
 
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