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Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0018
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18

ALFRED DüVE:

Man hat an dem Ausdruck 'Völkerwanderung', den uns die
ältere, lateinisch schreibende Gelehrsamkeit ais migrationes gen-
tium überantwortet hat^, in unseren Tagen vielfach Anstoß genom-
men^; und doch fäßt sich kaum ein anderer ersinnen, der die Über-
gangsperiode zwischen antiker und moderner Zeit so kurz und
treffend universalhistorisch bezeichnete. Nur darf man nicht, wie
gewöhnlich geschieht, den Hauptton auf die Wanderung legen,
wiewohl auch deren Umfang und Bedeutunguns noch jüngst durch
die überraschenden Resultate der anziehendenForschungARNOLDs^
aufs neue deutlich geworden. Für die ahgemeine Geschichte
liegt vielmehr der Kern der Begebenheit im Begriffe der 'Völker'.
Das 'Vofk' der Wanderzeit, iateinisch gens, griechisch έβνος — die
'Völkerschaft', wie man es am fiebsten und ambesten übersetzt —,
ist das 'Volk' unserer heutigen Ethnologie oder Vöfkerkunde;
dasjenige Volk, bei welchem der Schwerpunkt des Daseins noch
in der fdee der Abstammung ruht, in dessen Wesen der natür-
liche Faktor den historischen noch beträchtfich überragt. Es
ist das Volk, welches, äußerfich wie innerlich, alles Seinige bei sich
führt. Selbst das Land, das von ihm bewohnt wird, hat auch da,
wo die gens bereits längere Zeit seßhaft geworden, für die An-
schauung kaum eine eigene reale Existenz: zur Ortsbezeichnung
dient entweder geradezu der Volksname selbst oder doch ein ein-
faches Derivat desselben^. Ungleich entschiedener natürlich er-
^ Ais Rubrik noch in PüTTERs Handbuch der teutschen Reichshistorie
2. Ausg. Göttingen 1772, S. 77.
2 Selbst R.ANKE, Weltgesch. IV 1, S. 153; doch berühren seine Ein-
wände die Hauptsache nicht.
s W. ARNOLD, Ansiedlungen u. Wanderungen deutscher Stämme; vgl.
ders., Deutsche Gesch. II, 1 S. 3ff. — Die übertriebene Betonung der Wan-
derung als solcher, wie deren Zurückführung auf eine Art Naturgesetz, schreibt
sich bekanntlich schon von Paulus Diakonus her, dessen ganz italienisch
empfundener Eingang zu seiner Langobardengeschichte auch die Italiener
besonders beschäftigt hat; s. Salimbene, chron. p. 85 sq.; Macchiavelli, ist.
Fior. z. Afg.
^ Von unserem Standpunkt aus sagt WviTz (Verfg. P, 204) gewiß mit
Recht: 'VoIk und Staat sind nicht ohne Land zu denken.' Daß jedoch auf
primitiv-historischer, d. h. eben ethnologischer Stufe das Volk allerdings
ohne Land gedacht wird, zeigt ein Blick auf die Geschichte der Ländernamen.
Unsere Schulmeister stellen es freilich so dar, als sei es eine bloße Grille der
alten Schriftsteller, in Sabinis natus oder Samnites vastare zu sagen, und sind
gegenüber Wendungen, wie εστ'κν έν κλλω γένωντκί. (Xen. Anab.
IV, 5, 28), quae gens jacet supra Ciliciam (Nep. Dat. IV, 1), oder dem be-
kannten ubi gentium sogleich mit der Auskunft bei der Hand, έϋνος und
 
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