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Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0063
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Studien zur Yorgeschichte des deutschen Volksnamens.

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die, daß den neu zu bekehrenden Wlkerschaften' der ethnische
oder gentile Heidenname, wo er wörtlich in ihre eigene Sprache
übertragen ward, nicht geradehin als eine abschreckende Verur-
teilung ihrer ganzen Vergangenheit entgegenscholh Das έβ-νος
der Westgoten fühlte sich schwerlich dadurch gekränkt, auch im
christlichen Sinne bisher zu den έ&νη gehört zu haben; und die
gentes der Schwaben, Bayern, Franken und Sachsen mochten es
gleichmütig hinnehmen und nachsprechen, daß sie insgesamt
vor den Ohren der Kiirche eine lingua gentilis redeten.

V.
Dem griechischen έβνος, der lateinischen gens in der Bedeutung,
welche beide Wörter im 4. Jahrhundert n. Chr. besaßen, d. h. also
dem Begriffe der 'Völkerschaft', entspricht aufs genaueste die
gotische thiuda. Den Hauptbeweis für diese Tatsache liefert der
Sprachgebrauch des Ulfilas, welcher einerseits überafl da, wo der
griechische und lateinische Bibeltext^ jene Wörter bringen, thiuda
— und natürlich ebenso für έ9-νη oder gentes den Plural thiudos —
setzt, anderseits jeden sonstigen Ausdruck seiner Vorlage für
irgendwelchen so oder so abweichenden Volksbegriff durch ein
anderes gotisches Wort wiedergibt^. Diese Strenge nach der nega-
tiven Seite hin ist um so mehr zu beachten, als dem Gotischen
bekanntlich die Aquivalente für die altdeutschen Volksbezeich-
nungen folc und liut — wovon unser 'Leute' — fehlen, so daß eine
ausgiebigere Verwendung des Wortes thiuda sehr zu entschul-
digen gewesen wäre. Statt dessen wird das farblose managei
'die Menge' nicht bloß für πλη&ος, οχλος, turba, plebs ziemlich
eintönig, in gelegentlichem Wechsel mit hiuhma oder iumjo 'der
Haufe', gebraucht: es steht vielmehr zugleich ausnahmslos aller-

^ Absichtlich ziehe ich auch den lateinischen Bibeltext heran, von dem
man ja annehmen darf, daß er selbst von Ulfilas subsidiär zu Rate gezogen
ward und der jedenfails zu späterer Revision der gotischen Übersetzung
gedient hat. Vgl. Vulfiia hrsg. v. E. BERNHARDT Einltg. XXXVIII sq.
^ Hauptstellen für thiuda = sh-νος oder gens im Singular Luc. 7, 5;
Joh. 18, 35. Im übrigen ist zu verweisen auf die Wörterbücher zur gotischen
Bibel und auf DAHN, Könige VU, 6ff. (in der neuen Auflage mit A. BEzzEN-
BERGERS Beihilfe verbessert).
 
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