Studien zur Yorgeschichte des deutschen Volksnamens.
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den jemals \*On innen heraus durch Spaltung und Absonderung
Nationen gleich den modernen hätten entstehen können, ist
schlechterdings nicht auszudenken; denn für totes Volkstum
kennt die Historie keine Auferstehungh Das Provinzialkaisertum
des dritten Jahrhunderts, das Produkt momentaner miiitärisch-
politischer Verlegenheiten, ging rasch und spurlos in der wieder-
hergestehten Einheit auf, da die einzelnen Reichslande als sofche
weder Trieb noch Pfan, weder Kraft noch Mut zur Selbständigkeit
hesaßen. Ein neuer universalhistorischer Aufschwung ließ sich
daher allein von der Zufuhr ethnischen Rohstoffes erwarten, wie
sie eben durch die Völkerwanderung besorgt ward. Die Hervor-
bildung unserer mannigfaltigen nationalen Staatenwelt ist dann
freilich wieder nur dadurch möglich gewesen, daß auf der einen
Seite auch antikes Wlksmaterial durch die Mischung mit jenem
Rohstoff neu verwendbar ward, auf cfer anderen selbst da, wo
die genies ausschließlich unter sich Verbindungen eingingen, doch
die Staats- und Reichsideen des Altertums, so oder so vermittelt
und modifiziert, diesen Prozeß befördert haben.
Fragt man nun, wie es eigentlich zu dieser erlösenden Umwäl-
zung gekommen sei, so lautet die Antwort: das Aitertum hat sich
im Gefühi seiner schwindenden Lebenskraft mit eigener Hand die
Grube gegraben. Denken wir uns das trübselige Geschäft der
römischen Eroberung auch in der Kfaiserzeit maßvoii, aber stetig
fortgesetzt, so wäre mit jeder Erweiterung der Reichsgrenze ein
neues Stück der noch verschonten Wlkerwelt in die allgemeine
Zersetzung liineingezogen worden. Das Epochemachende ist,
daß schon die ersten Imperatoren, offenbar in der Erkenntnis der
nationalen Ermattung im Innern, sich statt der Eroberung für die
Verteidigung, statt der fortschreitenden Zersetzung der Masse
der noch übrigen gentes vielmehr für die räumliche Auseinander-
setzung mit ihr entschieden. Der orbis Romanus verschanzte sich
ihr gegenüber ein für allemal hinter Meer und Wüste, Strom und
Gebirge, ja, sogar buchstäblich hinter Wall und Graben. Eben
hierdurch wurden mdes die Stämme draußen in ihrer volkstüm-
suis opibus vitia quoque et verborum et morum Romam transmisit. -— Über
nomen Romanum s. u. 8. 26, A. 1.
i Vgl. MoMMSEN, Röm. Gesch. Bd. V, besonders S. 4; 154; 655. Im gan-
zen zeigt sich dort überall dieselbe Auffassung; nur war es Pfiicht, im Rahmen
antiker Geschichte das pseudonationale Wesen der einzelnen Reichslande
nach seiner positiven Seite kräftiger herauszuheben.
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den jemals \*On innen heraus durch Spaltung und Absonderung
Nationen gleich den modernen hätten entstehen können, ist
schlechterdings nicht auszudenken; denn für totes Volkstum
kennt die Historie keine Auferstehungh Das Provinzialkaisertum
des dritten Jahrhunderts, das Produkt momentaner miiitärisch-
politischer Verlegenheiten, ging rasch und spurlos in der wieder-
hergestehten Einheit auf, da die einzelnen Reichslande als sofche
weder Trieb noch Pfan, weder Kraft noch Mut zur Selbständigkeit
hesaßen. Ein neuer universalhistorischer Aufschwung ließ sich
daher allein von der Zufuhr ethnischen Rohstoffes erwarten, wie
sie eben durch die Völkerwanderung besorgt ward. Die Hervor-
bildung unserer mannigfaltigen nationalen Staatenwelt ist dann
freilich wieder nur dadurch möglich gewesen, daß auf der einen
Seite auch antikes Wlksmaterial durch die Mischung mit jenem
Rohstoff neu verwendbar ward, auf cfer anderen selbst da, wo
die genies ausschließlich unter sich Verbindungen eingingen, doch
die Staats- und Reichsideen des Altertums, so oder so vermittelt
und modifiziert, diesen Prozeß befördert haben.
Fragt man nun, wie es eigentlich zu dieser erlösenden Umwäl-
zung gekommen sei, so lautet die Antwort: das Aitertum hat sich
im Gefühi seiner schwindenden Lebenskraft mit eigener Hand die
Grube gegraben. Denken wir uns das trübselige Geschäft der
römischen Eroberung auch in der Kfaiserzeit maßvoii, aber stetig
fortgesetzt, so wäre mit jeder Erweiterung der Reichsgrenze ein
neues Stück der noch verschonten Wlkerwelt in die allgemeine
Zersetzung liineingezogen worden. Das Epochemachende ist,
daß schon die ersten Imperatoren, offenbar in der Erkenntnis der
nationalen Ermattung im Innern, sich statt der Eroberung für die
Verteidigung, statt der fortschreitenden Zersetzung der Masse
der noch übrigen gentes vielmehr für die räumliche Auseinander-
setzung mit ihr entschieden. Der orbis Romanus verschanzte sich
ihr gegenüber ein für allemal hinter Meer und Wüste, Strom und
Gebirge, ja, sogar buchstäblich hinter Wall und Graben. Eben
hierdurch wurden mdes die Stämme draußen in ihrer volkstüm-
suis opibus vitia quoque et verborum et morum Romam transmisit. -— Über
nomen Romanum s. u. 8. 26, A. 1.
i Vgl. MoMMSEN, Röm. Gesch. Bd. V, besonders S. 4; 154; 655. Im gan-
zen zeigt sich dort überall dieselbe Auffassung; nur war es Pfiicht, im Rahmen
antiker Geschichte das pseudonationale Wesen der einzelnen Reichslande
nach seiner positiven Seite kräftiger herauszuheben.