Studien zur Yorgeschichte des deutschen Yolksnamens.
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ligen gens im nmfassenden Sinne hingegen kann alsdann nur noch
historisch die Rede sein; der alte Gedanke nationaler Einheit ver-
biaßt in bezug aui' die Gegenwart zur bloßen Anerkennung näherer
oder entfernterer Stammverwandtschaft zwischen den verschie-
denen Teilvölkern. Statt aller anderen Beispiele geniigt es, auf die
uns bekannten, dieser Erörterung genau entsprechenden Verhält-
nisse der gotischen Völkerschaften, vor allem der Ost- und West-
goten selbst, zurückzuverweisenh Natürlich gibt es jedoch auch
vorbereitende Zustände in Menge, während deren die selbständige
Einrichtung des nationalpolitischen Lebens im kleineren Kreise
noch nicht den entscheidenden Grad volfkommener Absonderung
erreicht hat. Infolgedessen können zumal fernstehende Bericht-
erstatter leicht in Zweifel geraten, wo im gegebenen Moment der
wahre Sitz lebendiger gentiler Einheit zu suchen sei, ob man es
noch mit Volksteilen oder schon mit Teilvölkern zu tun habeh
Ja bei dem lockeren Gewebe des ethnischen Staatsverbandes,
bei dem leidenschaftlichen Partikularismus in der politischen
Praxis roher Völker, mochten bisweilen selbst bloße Gaue oder
^ 8. o. S. 42. A. 3; 65, A. 3; 66, A. 1; 74, A. 1. Vgl. nochProcop. b.
Goth. i, 13 κμφωτκ für Ost- und Westgoten.
^ So nennt Plinius (n. h. XVI, 1, 2—3) die Ghauken, die er in majores
minoresque zerlegt, in einem Zuge gentes und gens. Tacitus dagegen braucht
in einem analogen Falle für die majores minoresque Frisii (Germ. 34) mit
Bedacht den Ausdruck nationes. Den Sueben gegenüber verstrickt sich jedoch
auch er (c. 38 sq.) in Widerspruch; er betont entschieden, daß sie bereits
faktisch in mehrere gentes auseinandergetreten sind; daneben aber erteilt
er doch auch der Gesamtnation nicht allein in genealogischem Rückblick
(initia gentis c. 39), sondern auch in anbetracht ihrer gegenwärtigen Erschei-
nung, allerdings auf dem untergeordneten Felde äußerer Sitte (insigne gentis
c. 38), denTitel einer gens. Wird doch diesWort in Ermangelung eines anderen
von ihm ausnahmsweise selbst aui' die nationale Gesamtheit aller Germanen
übertragen (s. darüber DAHN, Könige I, 50f. u. über Ähnliches bei Caesar
ebd. 40). — Sehr häufig löst sich übrigens eine anscheinende Zweideutigkeit
bei näherer Überlegung von selbst. So nennt Prokop (b. Goth. II, 14) richtig
τ& Σχλοφηνών ε-9-νη, gestattet sich jedoch ein andermal (ib. 11, 26), wo es allein
auf die nationale Herkunft einiger Individuen ankommt, den generellen Sin-
gular έχ τοΰ Σχλκβηνών έθνους; so kennt Agathias sonst überalI(II, 13;
IV, 27; V, 10) eine Mehrzahl hunnischer γένη oder έ-9-νη, während er die Ein-
zahl τό γένος genau betrachtet doch wieder nur von einer fernen Vorzeit des
Volkes braucht (V, 10). Überhaupt herrscht bei allen Autoren sichtlich das
Bestreben, die Namen έ&νος oder gens inmitten absterbender, iiberwiegend
der Vergangenheit angehöriger und wiederum erst aufsprossender, mehr der
Zukunft entgegenreifender nationaler Verbände für die realen, politisch
individualisierten Volkskörper der Gegenwart aufzusparen.
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ligen gens im nmfassenden Sinne hingegen kann alsdann nur noch
historisch die Rede sein; der alte Gedanke nationaler Einheit ver-
biaßt in bezug aui' die Gegenwart zur bloßen Anerkennung näherer
oder entfernterer Stammverwandtschaft zwischen den verschie-
denen Teilvölkern. Statt aller anderen Beispiele geniigt es, auf die
uns bekannten, dieser Erörterung genau entsprechenden Verhält-
nisse der gotischen Völkerschaften, vor allem der Ost- und West-
goten selbst, zurückzuverweisenh Natürlich gibt es jedoch auch
vorbereitende Zustände in Menge, während deren die selbständige
Einrichtung des nationalpolitischen Lebens im kleineren Kreise
noch nicht den entscheidenden Grad volfkommener Absonderung
erreicht hat. Infolgedessen können zumal fernstehende Bericht-
erstatter leicht in Zweifel geraten, wo im gegebenen Moment der
wahre Sitz lebendiger gentiler Einheit zu suchen sei, ob man es
noch mit Volksteilen oder schon mit Teilvölkern zu tun habeh
Ja bei dem lockeren Gewebe des ethnischen Staatsverbandes,
bei dem leidenschaftlichen Partikularismus in der politischen
Praxis roher Völker, mochten bisweilen selbst bloße Gaue oder
^ 8. o. S. 42. A. 3; 65, A. 3; 66, A. 1; 74, A. 1. Vgl. nochProcop. b.
Goth. i, 13 κμφωτκ für Ost- und Westgoten.
^ So nennt Plinius (n. h. XVI, 1, 2—3) die Ghauken, die er in majores
minoresque zerlegt, in einem Zuge gentes und gens. Tacitus dagegen braucht
in einem analogen Falle für die majores minoresque Frisii (Germ. 34) mit
Bedacht den Ausdruck nationes. Den Sueben gegenüber verstrickt sich jedoch
auch er (c. 38 sq.) in Widerspruch; er betont entschieden, daß sie bereits
faktisch in mehrere gentes auseinandergetreten sind; daneben aber erteilt
er doch auch der Gesamtnation nicht allein in genealogischem Rückblick
(initia gentis c. 39), sondern auch in anbetracht ihrer gegenwärtigen Erschei-
nung, allerdings auf dem untergeordneten Felde äußerer Sitte (insigne gentis
c. 38), denTitel einer gens. Wird doch diesWort in Ermangelung eines anderen
von ihm ausnahmsweise selbst aui' die nationale Gesamtheit aller Germanen
übertragen (s. darüber DAHN, Könige I, 50f. u. über Ähnliches bei Caesar
ebd. 40). — Sehr häufig löst sich übrigens eine anscheinende Zweideutigkeit
bei näherer Überlegung von selbst. So nennt Prokop (b. Goth. II, 14) richtig
τ& Σχλοφηνών ε-9-νη, gestattet sich jedoch ein andermal (ib. 11, 26), wo es allein
auf die nationale Herkunft einiger Individuen ankommt, den generellen Sin-
gular έχ τοΰ Σχλκβηνών έθνους; so kennt Agathias sonst überalI(II, 13;
IV, 27; V, 10) eine Mehrzahl hunnischer γένη oder έ-9-νη, während er die Ein-
zahl τό γένος genau betrachtet doch wieder nur von einer fernen Vorzeit des
Volkes braucht (V, 10). Überhaupt herrscht bei allen Autoren sichtlich das
Bestreben, die Namen έ&νος oder gens inmitten absterbender, iiberwiegend
der Vergangenheit angehöriger und wiederum erst aufsprossender, mehr der
Zukunft entgegenreifender nationaler Verbände für die realen, politisch
individualisierten Volkskörper der Gegenwart aufzusparen.