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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0042
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42

R. Reitzenstein :

Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß diese Übereinstim-
mungen zufällig sind. Die verachtete κοσμοπο da dieses Zauber-
papyrus hat uns den großen Teil einer altiranischen Kosmogonie
in einer abgekürzten, ab und an auch etwas interpolierten, im
wesentlichen aber ursprünglichen Form erhalten1. Der Dualismus
ist in ihr noch nicht mit solcher dogmatischen Strenge wie bei
Mani durchgeführt; die mythologischen Elemente sind noch in
freiem Fluß. Die guten Götter streiten untereinander und werden
durch Schiedsrichterspruch versöhnt; das Szepter wird nicht nur
bei dem Feuergott und bei Kronos erwähnt, wo es volle Bedeutung
und Berechtigung hat; auch Μοίρα empfängt es, und wir dürfen
darin wohl eine unverstandene Nachwirkung alter Formeln und
alles vollendet ist und der Zauberer liegend den Gott erwartet, folgt die
Rezitation der κοσμοποάα. Ein dunkles Empfinden scheint hier noch zu
wirken, daß erst eine solche dem Opfer Kraft gibt. Der im Kult abgeschaffte
Brauch wirkt im Zauber nach, was Religion war, wird Aberglaube. Die
mythologische Erzählung, die ursprünglich als Preis Gottes und als eine Art
Bekenntnis den Priester legitimierte, wird zur Beschwörung. Darf man einen
solchen Zusammenhang hier annehmen, so ist begreiflich, daß ein solches
Bekenntnis in Erweiterungen und individuellen Umbildungen in die religiöse
Literatur übergeht, aus dem Opferspruch also hier die κοσμοποήα wird.
Begreiflich ist aber auch, daß an anderer Stelle der Spruch oder die Formel
sich wenigstens äußerlich mehr in dem ursprünglichen Charakter erhält.
Der seltsame, katechismusartige Ton des soghdischen Fragmentes M 583, der
Professor Andreas zunächst befremdete, würde sich aus der Annahme sol-
cher Zusammenhänge wohl am leichtesten erklären.
1 Wie weit sich in ihr schon verschiedene Elemente mischen, ist zurzeit
noch nicht zu sagen, doch mache ich darauf aufmerksam, daß sich in dem
mandäischen Schöpfungsmythus, den ich S. 9 abgedruckt habe, die gleiche
Verbindung zweier dualistischer Systeme findet, dort aber klarer erkennbar
ist: ein System setzt als Urprinzipien Feuer und Wasser voraus; mit ihm ist
die Seele verbunden; es entspricht der Lehre des Zaratas bei Aristoxenos und
ist mit dem ersten Teil der κοσμοποήα zu vergleichen; ein anderes spricht
nur von dem Urmenschen und berührt sich eng mit Mani; ihm entspricht
der zweite Teil der κοσμοποιία. Befremdend wirkt in letzterer zunächst der
Name Ίάω, und man könnte an eine Interpolation aus gnostischer Zeit den-
ken. Allein notwendig ist das, selbst wenn der Judengott (nicht einfach die
Vokalverbindung) gemeint ist, nicht (den Namen erklärt jetzt Grimme, Orien-
talistische Literaturzeitung 1912 S. 13 für nicht semitisch). Nach Lydus,
De rnensibus IV 9, 53 p. 110, 25 Wünsch erwähnte schon Varro (in den Anti-
quitates), er heiße παρά Χαλδαίοις έν τοΐς μυστικοΐς Jao (vgl. auch Norden,
Agnostos Theos 61). Chaldäisch-persische mystische Literatur kann schon
in der Frühzeit des Hellenismus diesen Namen aufgenommen haben. Es
handelt sich in der κοσμοποιία um ein individuell fortgebildetes System.
 
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