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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0047
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Die Göttin Psyche.

in ihr, sein Schatten auf die Erde, und die φύσις entbrennt in Ver-
langen nach ihm; aber auch er selbst empfindet Liebe zu dem eige-
nen Abbild, steigt in es herab und will in ihm wohnen; da um-
schlingt ihn die φύσις zur Liebesvereinigung und gebiert von ihm
sieben άνθρωποι,, deren Körper aus ihr, deren Geistiges aus dem
ersten Menschen stammt; das Licht in ihm ist zum νους, das
Leben in ihm zur ψυχή geworden. Was weiter aus dem ersten Men-
schen wird, sagt der Mythos nicht, doch dürfen wir annehmen,
daß er in der benutzten Vorlage von der φύσις wieder zur Gottheit
zurückgekehrt ist. Im Poimandres wird ja die Heimkehr der
Menschen zu Gott geschildert. Es scheint mir wichtig, daß auch
hier noch eine Gleichsetzung des ersten Menschen mit der Allseele,
aus der die Teilseelen stammen, nachwirkt; wir konnten ja bei
Mani darnach verschiedene, sich aber doch entsprechende Mythen-
formen scheiden.

6.
Das wird klarer, wenn wir die Lehre der Naassener bei Hip-
polyt betrachten, aus der uns ein unendlich oft behandeltes Lied
von der Seele und eine Predigt über die Verehrung des ersten
Menschen, hier des Attis, erhalten ist. Beide scheinen sich zunächst
gar nicht miteinander vereinigen zu lassen. Es gilt also die Predigt1
näher zu prüfen. Sie beginnt V 7, 2 p. 79, 6 Wendland mit der
Anthropogonie: aus der Erde stammt der Leib nach der Über-
lieferung aller Völker; in diesen Erdenleib ist die Seele gelegt,
damit durch sie der vollkommene Urmensch geknechtet würde
und leide (p. 80, 10. 13). Das ist nur verständlich, wenn dieser Ur-
mensch, der ausdrücklich als mannweiblich bezeichnet wird, selbst zu-
gleich die Seele oder Urseele ist, die durch den irdischen Leib in die
Knechtschaft der Materie verfällt. Dabei ist jener irdische, leblose

1 Ich habe im Poimandres die Anlage dieser Predigt klargestellt und er-
wiesen, daß eine Anzahl der christlichen Abschnitte später eingeschoben sind,
alle aber fehlen können. Die Folgerung ist für mich zwingend, daß wir sie
tilgen und zunächst den heidnischen Text hersteilen müssen. Diesen heid-
nischen Kern müssen wir mit Sallust Περί θεών cap. 4 und Julians Pi.ede auf
die Μήτηρ vergleichen (Bousset, Hauptprobleme 185). Wir erkennen besonders
bei letzterem deutlich die Verbindung phrygischer und iranischer Lehren;
bei ersterem ist die Scheidung der πρώτοι θεοί (also der προφανέντες) von den
δεύτεροι zu beachten.
 
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