52
R. Reitzenstein:
berechtigt zu fragen, ob uns hier eine ursprünglich griechische
Schrift, deren Zeit dann nur nach inneren Gründen zu bestimmen
wäre, in Überarbeitung vorliegt oder ob wir es nur mit einer, dann
ziemlich wertlosen arabischen Stilübung zu tun haben. Eine
gewisse Wahrscheinlichkeit wird schon jetzt für das erstere sprechen.
Die lange vernachlässigte Schrift ist in neuester Zeit unab-
hängig von diesen Erwägungen zweimal von Philologen besprochen
worden. Norden hat im Agnostos Theos S. 278 A. beiläufig auf
Spuren echt griechischer Tradition in ihr aufmerksam gemacht,
und Jos. Kroll hat in seinem fleißigen, trotz der ihm von
W. Kroll gewiesenen unrichtigen Orientierung und trotz einer
Polemik, die mich seit einem Jahrzehnt nicht mehr treffen kann1,
doch außerordentlich dankenswerten Buch2 Die Lehren des Her-
mes Trismegistos Münster 1914, Beiträge zur Philosophie des Mittel-
alters XII Heft 2—4 in dem Anhang S. 390ff. Nordens Ergebnis
nicht nur bestätigt, sondern seinerseits hinzugefügt, daß er auch
Spuren gnostischen Denkens in ihm finde. Beide Forscher aber
sind immer noch zu abhängig von Bardenhewers Ausführungen
geblieben und darum nicht zu dem Hauptergebnis gekommen,
dem besonders Kroll schon recht nahe war.
Eine kurze Inhaltsangabe ist im Interesse des Lesers wohl not-
wendig, leider aber bei dem sprunghaften Charakter der Mahnrede
schwer zu geben. Ein erster Teil bis cap.VI zu Ende3 zeigt einen
trotz mancher Verdunkelung immerhin verständlichen Aufbau, bei
dem sich Anfang und Schluß annähernd entsprechen. Die Seele wird
ermahnt, sich von den Gedanken, die Hermes ihr vortragen will,
möglichst klare Anschauungen zu bilden. Das wesenhafte, ur-
1 Vgl. die Historia Monachorum und Historia Lausiaca S. 110, 1 bei-
spielsweise angeführten Stellen, die Kroll übersehen hat.
2 Wertvoll ist mir besonders, daß Kroll so rückhaltslos jeden Einfluß des
Christentums bestreitet und den rein hellenistischen Charakter dieser Schrif-
ten so schlagend nachweist. War doch bis in neueste Zeit der Versuch, die Be-
deutung dieser Literatur zu bestreiten, von der freilich nie erwiesenen und nie
erweisbaren Behauptung ausgegangen, das Christentum habe schon auf sie
entscheidend eingewirkt. Daß ich von Kroll in dem Urteil über den Einfluß
der Philosophie stark abweiche, wird sich in der Fortsetzung zeigen. Daß er
dem religiösen Element gerecht zu werden wenigstens öfters versucht hat,
muß ich dankbar anerkennen. Für diese ganze Grundfrage verweise ich auf
W. Boussets Rezension Gott. gel. Anzeigen 1914 S. 697 ff.
3 Er ist, allerdings zum Schluß (in VI 8) verstümmelt, in zwei Hand-
schriften allein überliefert und von Fleischer allein übersetzt.
R. Reitzenstein:
berechtigt zu fragen, ob uns hier eine ursprünglich griechische
Schrift, deren Zeit dann nur nach inneren Gründen zu bestimmen
wäre, in Überarbeitung vorliegt oder ob wir es nur mit einer, dann
ziemlich wertlosen arabischen Stilübung zu tun haben. Eine
gewisse Wahrscheinlichkeit wird schon jetzt für das erstere sprechen.
Die lange vernachlässigte Schrift ist in neuester Zeit unab-
hängig von diesen Erwägungen zweimal von Philologen besprochen
worden. Norden hat im Agnostos Theos S. 278 A. beiläufig auf
Spuren echt griechischer Tradition in ihr aufmerksam gemacht,
und Jos. Kroll hat in seinem fleißigen, trotz der ihm von
W. Kroll gewiesenen unrichtigen Orientierung und trotz einer
Polemik, die mich seit einem Jahrzehnt nicht mehr treffen kann1,
doch außerordentlich dankenswerten Buch2 Die Lehren des Her-
mes Trismegistos Münster 1914, Beiträge zur Philosophie des Mittel-
alters XII Heft 2—4 in dem Anhang S. 390ff. Nordens Ergebnis
nicht nur bestätigt, sondern seinerseits hinzugefügt, daß er auch
Spuren gnostischen Denkens in ihm finde. Beide Forscher aber
sind immer noch zu abhängig von Bardenhewers Ausführungen
geblieben und darum nicht zu dem Hauptergebnis gekommen,
dem besonders Kroll schon recht nahe war.
Eine kurze Inhaltsangabe ist im Interesse des Lesers wohl not-
wendig, leider aber bei dem sprunghaften Charakter der Mahnrede
schwer zu geben. Ein erster Teil bis cap.VI zu Ende3 zeigt einen
trotz mancher Verdunkelung immerhin verständlichen Aufbau, bei
dem sich Anfang und Schluß annähernd entsprechen. Die Seele wird
ermahnt, sich von den Gedanken, die Hermes ihr vortragen will,
möglichst klare Anschauungen zu bilden. Das wesenhafte, ur-
1 Vgl. die Historia Monachorum und Historia Lausiaca S. 110, 1 bei-
spielsweise angeführten Stellen, die Kroll übersehen hat.
2 Wertvoll ist mir besonders, daß Kroll so rückhaltslos jeden Einfluß des
Christentums bestreitet und den rein hellenistischen Charakter dieser Schrif-
ten so schlagend nachweist. War doch bis in neueste Zeit der Versuch, die Be-
deutung dieser Literatur zu bestreiten, von der freilich nie erwiesenen und nie
erweisbaren Behauptung ausgegangen, das Christentum habe schon auf sie
entscheidend eingewirkt. Daß ich von Kroll in dem Urteil über den Einfluß
der Philosophie stark abweiche, wird sich in der Fortsetzung zeigen. Daß er
dem religiösen Element gerecht zu werden wenigstens öfters versucht hat,
muß ich dankbar anerkennen. Für diese ganze Grundfrage verweise ich auf
W. Boussets Rezension Gott. gel. Anzeigen 1914 S. 697 ff.
3 Er ist, allerdings zum Schluß (in VI 8) verstümmelt, in zwei Hand-
schriften allein überliefert und von Fleischer allein übersetzt.