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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0064
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64

Die Göttin Psyche.

Noli, o anima, ratione, qua adversus hunc mundum uteris, ems raho-
7us similitudinem referre, qua utitur puer nullius consilii. qui si
cibatur et lenius accipitur, ridet et hilaris est, sm severius adhi-
betur, plorat et tristis est, atque ita quidem, ut dum ridet,
etiam plorare, dnm hilaris est, etiam tristis esse incipiat.
quae quidem non est ratio sibi constans qualis menti convenit. Man
vergleiche Leos und Swobodas Herstellungsversuch der Verse 6—8
des Naassener-Hymnus ποτέ δέ κλαίει, <ποτέ> δ’ αύ χαίρει,, ποτέ δέ
κλαίει <Ε’ άμα καί γελα>1. Erst hiernach folgt, im Metrum klar
sich abhebend, eine weitere Schilderung, die von der Weltseele,
die in den Teilseelen selbst leidet, aussagt ποτέ δέ κρίνεται, ποτέ
δέ -θνήσκει, ποτέ δέ γίνεται (so SwOBODA)2.
Das Ergebnis der Untersuchung ist für mich die Erkenntnis,
daß das vielgepriesene Hauptsystem der Gnosis diejenigen Lehren,
die auf unser Empfinden am stärksten wirken, nicht dichterischer
Phantasie oder freier Spekulation, sondern volkstümlichen Tradi-
tionen des Hellenismus entnommen hat. Den Tiefsinn, den man
so häufig preist, leugne ich nicht, aber ich suche ihn an anderer
Stelle und in der Hauptsache nicht bei den Urhebern der künst-
lichen und unklar gedachten Systeme. Wer nur mit einigem
Verständnis die Geschichte der höheren Religionen verfolgt, staunt
immer wieder über die schöpferische Kraft der religiösen Sehn-
sucht in einem Volk und wird ihre Gebilde über alle Gebilde frei
schaffender Einzelphantasie oder Spekulation stellen, ja vielleicht
zugeben, daß die letzteren volle Wirkung nur gewinnen, wenn sie
an jene volkstümliche Religiosität mit ihren tiefsinnigen Ahnungen
anschließen. Die Zeit des Synkretismus bringt der religiösen Per-
sönlichkeit nach der einen Seite sehr viel größere Freiheit — neben
die religiösen Überlieferungen des eigenen Volkes treten als bei-
nahe gleichberechtigt die Traditionen der anderen und gestatten
ihr fast freie Wahl —, aber eine gewaltige Schranke bildet die
ungeheure Schätzung, welche die Tradition an sich gerade in dieser
1 So möchte ich ergänzen, vgl. Plato Phileb. 36 b λυπεΐταί τε άμα καί χαίρει.
2 Die Schrift berührt sich ähnlich mit der Naassener-Predigt. Die Deutung
der Homerstelle (Hippol. V 7, 30 p. 86, 3) wird erst von hier aus ganz verständlich.
Hermes ruft die Seelen heraus, er weckt die Schlummernden. Dann müssen
die μνηστήρες freilich die sein, die sich noch erinnern εξ οίης τιμής καί δσσου
μήκεος ολβου (Empedokles fr. 119) τουτέστιν άπδτοΰ μακαρίου άνωθεν ανθρώπου ....
κατηνέχθησαν ώδε εις πλάσμα τό πήλινον, ΐνα δουλεύσωσι τω ταύτης της κτίσεως
δημιουργώ. Orientalischer Glaube und griechische Denkart verbinden sich hier.
 
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