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R. Reitzenstein:
Das Hermetische Corpus bietet ja eine ganze Reihe von Schriften,
die sich als göttliche Offenbarung und Übersetzung alter ägypti-
scher Originale geben und dennoch fast in der Art einer griechischen
philosophischen Lehrschrift ihr Thema behandeln* 1. Das ist aus der
Entwicklung im Griechentum leicht verständlich, da in ihm für
den Gebildeten die Philosophie die Religion ersetzt hat und sich,
als die Religion vom Orient her neue Anregung erhält, nicht wieder
verdrängen läßt. Ich habe in den Nachrichten d. Göttinger Gesell-
schaft d. Wissenschaften 1917 S. 132 ff. die schon früher erwähnte
Schrift eines Imuthes-Dieners (■Oxyrh. Pap. 1381) eingehender be-
sprochen, die für den Umbildungsprozeß in der religiösen Literatur
einen trefflichen Beleg bietet, auf den ich noch öfter zurück-
kommen muß: der Verfasser hat, um für eine ägyptische Kosmo-
gonie Anhänger unter den 'Griechen’ zu finden und sie zum Dienste
des Imuthes zu bekehren, den mythischen Teil verkürzt — er
erscheint ihm überflüssig — und dafür philosophische Ausführun-
gen eingelegt. Aber selbst wenn in einer Schrift dieser Art nicht
viel mehr als die Einkleidung mythologisch, d. h. religiös geblieben
ist, will sie doch religiös wirken. Auch von dieser Seite scheint
mir also gegen die Datierung des Grundstockes der arabischen
Schrift nichts einzuwenden. Zusammen mit dem Naassener-Hym-
nus vertritt sie die hellenistische Vorlage, die Valentin (oder Ptole-
Einwirkungen benutzen kann. — Für die Valentinianer verweise ich beiläufig
feinmal auf den Gottesbegriff Τόπος (z.B. Excerpta ex Theodoto 37—39); Eude-
mos von Rhodos umschreibt dadurch den Zarvän (oben S. 36).
1 [Ich habe hierauf oft, so schon in einem Aufsatz, der gleichzeitig mit
dem Poimanclres erschien und eine Art Programm bieten sollte, Hellenistische
Theologie in Ägypten, Jahrbücher f. d. klass. Altertum 1904 S. 177 ff. hinge-
wiesen und betont, wie orientalische Religionsvorstellungen und griechische
philosophische Formeln und Formen sich überall durchdringen, so daß eine
Scheidung oft kaum möglich ist. Wenn neuerdings W. Kroll in einem pole-
mischen Aufsatz Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Poseidonios (ebenda
1917 S. 145) ausführt, die Sprache der Hermetischen Schriften sei griechisch,
und zwar das Griechisch der hellenistischen Philosophie; auch was an Gedanken
fremder Herkunft sei, sei durch eine griechische Prägestätte hindurchgegan-
gen und darauf komme es an, nicht auf den bedenklichen Begriff 'reingrie-
chisch’ -—·, so frage ich mich verwundert, gegen wen sich diese Polemik richtet,
freilich auch, was für einen Anhalt und Zweck es eigentlich hat, erst auf
Poseidonios, und auf diesen allein fast alle philosophischen Einflüsse auf
orientalisches religiöses Empfinden, ja im Grunde alle religiösen Grundüber-
zeugungen des Hellenismus zurückzuführen (vgl. z. B. S. 151). Für ihn ge-
winnt man nichts und wirkliche Beweise lassen sich nicht geben.]
R. Reitzenstein:
Das Hermetische Corpus bietet ja eine ganze Reihe von Schriften,
die sich als göttliche Offenbarung und Übersetzung alter ägypti-
scher Originale geben und dennoch fast in der Art einer griechischen
philosophischen Lehrschrift ihr Thema behandeln* 1. Das ist aus der
Entwicklung im Griechentum leicht verständlich, da in ihm für
den Gebildeten die Philosophie die Religion ersetzt hat und sich,
als die Religion vom Orient her neue Anregung erhält, nicht wieder
verdrängen läßt. Ich habe in den Nachrichten d. Göttinger Gesell-
schaft d. Wissenschaften 1917 S. 132 ff. die schon früher erwähnte
Schrift eines Imuthes-Dieners (■Oxyrh. Pap. 1381) eingehender be-
sprochen, die für den Umbildungsprozeß in der religiösen Literatur
einen trefflichen Beleg bietet, auf den ich noch öfter zurück-
kommen muß: der Verfasser hat, um für eine ägyptische Kosmo-
gonie Anhänger unter den 'Griechen’ zu finden und sie zum Dienste
des Imuthes zu bekehren, den mythischen Teil verkürzt — er
erscheint ihm überflüssig — und dafür philosophische Ausführun-
gen eingelegt. Aber selbst wenn in einer Schrift dieser Art nicht
viel mehr als die Einkleidung mythologisch, d. h. religiös geblieben
ist, will sie doch religiös wirken. Auch von dieser Seite scheint
mir also gegen die Datierung des Grundstockes der arabischen
Schrift nichts einzuwenden. Zusammen mit dem Naassener-Hym-
nus vertritt sie die hellenistische Vorlage, die Valentin (oder Ptole-
Einwirkungen benutzen kann. — Für die Valentinianer verweise ich beiläufig
feinmal auf den Gottesbegriff Τόπος (z.B. Excerpta ex Theodoto 37—39); Eude-
mos von Rhodos umschreibt dadurch den Zarvän (oben S. 36).
1 [Ich habe hierauf oft, so schon in einem Aufsatz, der gleichzeitig mit
dem Poimanclres erschien und eine Art Programm bieten sollte, Hellenistische
Theologie in Ägypten, Jahrbücher f. d. klass. Altertum 1904 S. 177 ff. hinge-
wiesen und betont, wie orientalische Religionsvorstellungen und griechische
philosophische Formeln und Formen sich überall durchdringen, so daß eine
Scheidung oft kaum möglich ist. Wenn neuerdings W. Kroll in einem pole-
mischen Aufsatz Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Poseidonios (ebenda
1917 S. 145) ausführt, die Sprache der Hermetischen Schriften sei griechisch,
und zwar das Griechisch der hellenistischen Philosophie; auch was an Gedanken
fremder Herkunft sei, sei durch eine griechische Prägestätte hindurchgegan-
gen und darauf komme es an, nicht auf den bedenklichen Begriff 'reingrie-
chisch’ -—·, so frage ich mich verwundert, gegen wen sich diese Polemik richtet,
freilich auch, was für einen Anhalt und Zweck es eigentlich hat, erst auf
Poseidonios, und auf diesen allein fast alle philosophischen Einflüsse auf
orientalisches religiöses Empfinden, ja im Grunde alle religiösen Grundüber-
zeugungen des Hellenismus zurückzuführen (vgl. z. B. S. 151). Für ihn ge-
winnt man nichts und wirkliche Beweise lassen sich nicht geben.]