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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0080
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80

R. Reitzenstein:

sich selbst zum Unglück tun wird, muß freilich auch gesagt
worden sein1.
Hiernach können wir die Vorlage wohl rekonstruieren. Wir
müssen uns die Götterversammlung aus den Parodien Lukians
beleben: Hermes, der Vertraute und zugleich der Bote des Zeus,
ruft alle Götter zusammen; Zeus eröffnet ihnen den Plan, Lebe-
wesen zu schaffen, und will das κράμα zur Verfügung stellen. Die
Götter machen sich ans Werk und bilden jeder nach seinem Ge-
schmack — die Tiere. Als Hermes endlich ans Werk kommt, ist von
dem Stoff nur wenig übrig, er muß das κράμα stark verdünnen, und
schwächer, hilfloser als die Tiere müssen seine Geschöpfe daher zu-
nächst werden. Aber feiner und schöner ist ihr Bau, und zum Ersatz
für die körperliche Schwäche und Hinfälligkeit gibt er ihnen die Erfin-
dungskraft, die sie zu Herrschern über alles machen wird. Es ist
eine allegorisch-mythische Darstellung der stoischen Deklamatio-
nen, wie sie uns mehrfach bei Cicero (z. B. De rep. III 1. 2, Lactanz
De opif. dei 3, 15 ff. 16) vorliegen2. Aber nun setzt die Kritik jenes
kulturmüden Pessimismus ein: die Menschen selbst werden dadurch
doch nicht glücklicher, zerrissen von Sorge, Trauer, Verlangen,
wie sie sind, und die Götter erreichen ihren Zweck nicht; denn
gegen sie selbst wird dies Geschlecht sich wenden, wie die Titanen
einst. So wird die σοφία auch des Hermes im Grunde zur stultitia.
Ich möchte an Menippos denken und wage doch nicht, für das Vor-
bild der Κόρη κόσμου und des Horaz die burlesken Züge mit voraus-
züsetzen, die bei ihm sich wohl eingemischt haben müßten. Ist diese
Annahme wenigstens in der Hauptsache richtig, so erklärt sie uns
zugleich zwei Anstöße. Die Schöpfung eines Urmenschen ließ sich zur
Not vor die διακόσμησες der materiellen Welt verlegen, nicht aber
diese Erschaffung des ganzen Menschengeschlechtes und der Tiere.
Der Bearbeiter kann hier zu der rein griechischen Quelle greifen,
weil ihm aus der einen Urseele schon die Vielheit der Seelen gewor-
den ist, und er kann aus dem gleichen Grund den Urmenschen
nicht brauchen; aber eine innere Verbindung der beiden Berichte
kann er nun gar nicht mehr hersteilen.

1 Er wird dadurch unglücklicher als das Tier. Das ist der nach dem
Zusammenhang naheliegende, ja fast notwendige Gedanke.
2 Der Mythos des platonischen Protagoras (320 d) liegt natürlich zugrunde,
wirkt aber auf den Verfasser der Κόρη κόςμου nicht mehr unmittelbar; die
Zwischenquelle hat den Momos zugefügt und die Darstellung darnach ent-
scheidend umgestaltet.
 
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