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R. Reitzenstein:
der Heimkehr in den Himmel wieder fähig zu machen1. Daß das
griechische Mittelstück die Menschen als Rebellen gegen Gott
schilderte, hat seine Einfügung veranlaßt; daß ihr Elend in ihm
hervorgehoben war, erleichterte die Anfügung des ägyptischen
Schlußteils. Natürlich zerfleischen diese Rebellen sich selbst; sie
würden ganz vergehen, wenn Gott nicht aus Erbarmen den Erlöser
sendete2. Das sind Grundgedanken des Synkretismus der Zeit;
ihre Ausführung läßt Schärfe des Denkens vollkommen vermissen.
Originell ist nur die Unbefangenheit, mit der die drei ganz ver-
schiedenem Ursprung entstammenden Elemente aneinander ge-
fügt werden. Ganz einzigartig und darum für uns wertvoll dünkt
mich die Gesamterscheinung. Der Mann kennt seinen Plato —nicht
den Timaios bloß — ausgezeichnet und will mit ihm im Stil und in
der Einzelerfindung wetteifern. Daneben kennt er andere Philo-
sophen, kennt die Geheimwissenschaften, Astrologie und Chemie,
wie Zielinski richtig empfunden hat, und ist vor allem Rhetor
durch und durch. Reständig hält sein Urgott Reden, und zwar
Reden im allerhöchsten Stil; jede Gelegenheit zu Monologen und
Dialogen wird wahrgenommen; wir kommen aus den Versamm-
lungen von Göttern, Seelen und Elementen gar nicht heraus. Auch
in der Erzählung häufen sich die Motive; sie kann ihm gar nicht
kompliziert genug werden3. Mit einem Wort, der Mann schreibt
ein religiöses Buch der literarischen, nicht der religiösen Wirkung
halber. Gewiß wirkt ein religiöses Empfinden mit; manche Ein-
zelheit ist tief, ja schön; aber auf diese Einzelheiten allein wird
1 Ähnlich hat in der arabischen Mahnrede an die Seele die Verbannung
auf die Erde erziehlichen Zweck.
2 Daß es Osiris ist, zeigt, daß der Verfasser die hellenisierte Osiris-Reli-
gion verbreiten will.
3 Zu den Mitteln schriftstellerischen Schmuckes sollen nach meinem
Empfinden auch jene mythologischen Einleitungen gehören, die ebenfalls
gehäuft sind. Schon die erste 386, 17—388 (auslaufend in die charakteristische
Rede des Hermes an seine Bücher) würde vollkommen genügen (zumal nach
der Isis-Einleitung); der Verfasser fügt noch 394,25—395,3 den Verweis
auf die Belehrung der Isis durch Kmephis, den Urgott, hinzu, und zwar nicht
etwa bei dem Übergang zu der Osiris-Quelle, sondern mitten in dem Hauptteil.
Das läßt mich schließen, daß diese geheimnisvollen Hinweise auf uralte Tradi-
tion zu den Dekorationsstücken gehörten. Doppelte Einkleidung ist in dieser
Literatur nicht ausgeschlossen. So berichtet bei Cyrill (Migne Bd. IX p. 588)
Hermes dem Asklepios ausführlich eine Belehrung des Osiris durch ’Αγα-9-ός
δαίμων. Das läßt sich der Verfasser der Κόρη κόσμου nicht entgehen. Ich
habe das früher nicht richtig gewertet.
R. Reitzenstein:
der Heimkehr in den Himmel wieder fähig zu machen1. Daß das
griechische Mittelstück die Menschen als Rebellen gegen Gott
schilderte, hat seine Einfügung veranlaßt; daß ihr Elend in ihm
hervorgehoben war, erleichterte die Anfügung des ägyptischen
Schlußteils. Natürlich zerfleischen diese Rebellen sich selbst; sie
würden ganz vergehen, wenn Gott nicht aus Erbarmen den Erlöser
sendete2. Das sind Grundgedanken des Synkretismus der Zeit;
ihre Ausführung läßt Schärfe des Denkens vollkommen vermissen.
Originell ist nur die Unbefangenheit, mit der die drei ganz ver-
schiedenem Ursprung entstammenden Elemente aneinander ge-
fügt werden. Ganz einzigartig und darum für uns wertvoll dünkt
mich die Gesamterscheinung. Der Mann kennt seinen Plato —nicht
den Timaios bloß — ausgezeichnet und will mit ihm im Stil und in
der Einzelerfindung wetteifern. Daneben kennt er andere Philo-
sophen, kennt die Geheimwissenschaften, Astrologie und Chemie,
wie Zielinski richtig empfunden hat, und ist vor allem Rhetor
durch und durch. Reständig hält sein Urgott Reden, und zwar
Reden im allerhöchsten Stil; jede Gelegenheit zu Monologen und
Dialogen wird wahrgenommen; wir kommen aus den Versamm-
lungen von Göttern, Seelen und Elementen gar nicht heraus. Auch
in der Erzählung häufen sich die Motive; sie kann ihm gar nicht
kompliziert genug werden3. Mit einem Wort, der Mann schreibt
ein religiöses Buch der literarischen, nicht der religiösen Wirkung
halber. Gewiß wirkt ein religiöses Empfinden mit; manche Ein-
zelheit ist tief, ja schön; aber auf diese Einzelheiten allein wird
1 Ähnlich hat in der arabischen Mahnrede an die Seele die Verbannung
auf die Erde erziehlichen Zweck.
2 Daß es Osiris ist, zeigt, daß der Verfasser die hellenisierte Osiris-Reli-
gion verbreiten will.
3 Zu den Mitteln schriftstellerischen Schmuckes sollen nach meinem
Empfinden auch jene mythologischen Einleitungen gehören, die ebenfalls
gehäuft sind. Schon die erste 386, 17—388 (auslaufend in die charakteristische
Rede des Hermes an seine Bücher) würde vollkommen genügen (zumal nach
der Isis-Einleitung); der Verfasser fügt noch 394,25—395,3 den Verweis
auf die Belehrung der Isis durch Kmephis, den Urgott, hinzu, und zwar nicht
etwa bei dem Übergang zu der Osiris-Quelle, sondern mitten in dem Hauptteil.
Das läßt mich schließen, daß diese geheimnisvollen Hinweise auf uralte Tradi-
tion zu den Dekorationsstücken gehörten. Doppelte Einkleidung ist in dieser
Literatur nicht ausgeschlossen. So berichtet bei Cyrill (Migne Bd. IX p. 588)
Hermes dem Asklepios ausführlich eine Belehrung des Osiris durch ’Αγα-9-ός
δαίμων. Das läßt sich der Verfasser der Κόρη κόσμου nicht entgehen. Ich
habe das früher nicht richtig gewertet.