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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0086
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86

R. Reitzenstein :

Schriften übergegangen, die Weltseele. Sie stammt ganz aus dem
Timaios und verträgt sich schlecht genug mit den anderen Dog-
men.“ Diese Behauptung ruht ausschließlich auf der Bezeichnung
ή των όλων ψυχή, die Frage, ob es eine religiöse Vorstellung derart
gegeben hat, wird überhaupt nicht aufgeworfen. Die Lokalisierung
dieser Weltseele, die Kroll an einer Stelle findet, stimmt nicht
zu Plato, läßt sich aber bei Pseudo-Philolaos und Cornutus nach-
weisen; also sind Plato und die jüngere Stoa kontaminiert. Die
Κόρη κόσμου kenne die Weltseele nicht1, doch liege ihr ebenfalls
der Timaios zugrunde. Der Verfasser nenne als Grundstoffe der
Seelensubstanz allerdings ganz andere als Plato; aber in den Worten,
die er gebrauche, πνεύμα (θειον) und πυρ νοερόν erkenne ja jeder
die termini technici der stoischen Philosophie. Also liege auch hier
nur die übliche Verquickung stoischer und platonischer Gedanken
voraus. So sind wir mit der Sache fertig: von Religion ist keine
Spur zu merken; es handelt sich um eine junge Philosophie2. Mein
erstes Bedenken dagegen gründete sich einst auf folgende Erwä-
gung: Den Ausgangspunkt müßte Plato gegeben haben; er ver-
wendet die Psyche, um das auf die Materie wirkende Bewegungs-
prinzip und die Erklärung der Harmonie der Weltbewegung zu
gewinnen; daher seine Erklärung ihrer Mischung. Der Hermetiker
will die Verwandtschaft zwischen Gott und Einzelseele erklären;
er brauchte den Gedanken der Mischung nicht. Die Stoffe, die er
nennt, sind mit zwei Ausdrücken bezeichnet, die auch stoisch sind,
aber der eine Ausdruck ist aller religiösen Sprache eigen. Vor allem
aber: sind denn die zwei Gedanken, daß der Urgott die Seele
schafft und daß man die Seele als Hauch und als Wärme fassen
kann, nur platonisch oder nur stoisch ? Nur dann wäre doch der
Beweis, daß sie hier unter lauter Mißverständnissen gerade diesen
beiden Quellen entnommen sind, wirklich erbracht. — Es lag in der
Aufgabe und Beschränkung des durchaus nützlichen Buches, eine
Schriftenreihe, die auf den ersten Blick zwischen religiöser und
philosophischer Literatur zu stehen scheint, ausschließlich mit der
einen von beiden zu vergleichen und von der andern ganz loszu-
lösen. Das schafft für die Gesamtheit ein scheinbar sicheres Resul-
tat, da die Gegengründe fast nie geprüft werden und die Einzel-
1 Das ist äußerlich richtig, dem Wesen nach falsch.
2 [Ähnlich jetzt W. Kroll Neue Jahrbücher f. d. klassische Altertum
1917 S. 151 „Niemand kann die stoische Herkunft dieser Lehren verkennen.“
Selbstverständlich ist Poseidonios die Quelle.]
 
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