Metadaten

Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0093
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Göttin Psvche.

93

die Rolle der Ανάγκη in dem Eingang des zweiten, am wenigsten
ägyptisierten Gebet des Πάρεδρος ’Έρως. Ein Gott wird angerufen
Col. II 24 σύ εΐ ό περιέχων τάς Χάριτας έν τη κορυφή1, σύ εΐ ο έχων εν
τη δεξιά την Ανάγκην, σύ ει ο διαλύων και δεσμεύων. Das kann wohl
nur der Liebesgott sein; von ihm wird früher (Col. II 12f.) gesagt
άνάγκασον αύτούς und ποίησον αύτούς ένφόβους, έντρομους, έπτοημένους
τάς φρένας ποιήσας διά τον φόβον σου. Man könnte eine Erinnerung
an diese Vorstellungen noch in dem nach Plato umgeformten
Wort, das Gott in der Κόρη κόσμου den in die Hyle verbannten
Seelen zuruft, finden (p. 397, 6 Wachsm.): ’Έρως υμών, ψυχαί, δε-
σπόσει καί Ανάγκη. Freilich wäre der ursprüngliche Sinn dann miß-
verstanden, wie der Zusatz οϊδε γάρ μετ’ εμέ πάντων δεσπόται τε καί
ταξίαρχοι zeigt. Als Geist der Sinnenlust wäre 'ein hylischer Eros
hier gefaßt, der die Seele an sich lockt und betört, während er in
Wahrheit ihr Feind ist. Sie muß ihm und den ,,Lilithen und
Astarten“ in der ύλη dienen, bis der göttliche Bote sie an ihren
Ursprung erinnert und wieder zum Himmel heraufführt. Ich würde
eine derartige Erfindung in einer jüngeren iranischen Dichtung
immer für möglich halten. Nur hinderte mich der Umstand, daß
derselbe Dämon zugleich der Fürst der Finsternis und Materie
sein müßte, lange daran meine Vermutung auszusprechen. Seit
jetzt die genauere Analyse der κοσμοποιία des Asonakes uns einen
bis in die Frühzeit des Hellenismus hinauf bezeugten iranischen
Text gezeigt hat, der von Mani abweichend, aber zu den Man-
däern stimmend den Drachengott nur neben und nach dem eigent-
lichen Vertreter der Materie nennt, ist mein Bedenken geschwun-
den. Jetzt dürfen wir in der Tat an einen Geist der Lust denken,
welcher die Psyche an sich locken will.
Festen Boden haben wir freilich erst wieder unter den Füßen,
wenn wir uns der hellenistischen Kunst zuwenden. Hier scheint
mir ein sicheres Resultat schon erreicht, das es nur noch etwas
auszubauen gilt.
Ich habe in unseren Sitzungsberichten 1914 Abh. 12 erwiesen,
daß sich in Ägypten in der hellenistischen Kleinkunst eine Anzahl
von Darstellungen des Eros und der Psyche finden, die nicht
allegorisch gemeint sein können oder nur in freiem Spiel der Phan-
tasie zwei Putti verschiedenen Geschlechtes zu rein dekorativem
Zweck miteinander verbinden wollen. Ich nenne als besonders

1 Das zugefügte Wort λαμφρη darf wohl als Zauberwort gelten.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften