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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0105
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Die Göttin Psyche.

105

wendig1. Aber wenn alte Göttersprüche ihn als den Geist der
υλη oder Sohn der Nacht und Feind der lichten Götterwelt schil-
dern, so tritt für Psyche der olympische, junge Gott an seine Stelle;
er kann ihr nur das Glück und endlich den Aufstieg zu den Göttern
bringen, von dem der alte Mythos ja zu künden wußte. So mußte
er notwendig auch an die Stelle des göttlichen Boten treten, der
unsichtbar mit der Seele verkehrt und sie für diesen Aufstieg vor-
bereitet. Mochte aus irgendwelchem Grunde am Schluß der Zug
beibehalten werden, daß der Götterbote, also für den Griechen
selbstverständlich Hermes, sie in die Götterversammlung einführt,
die eigentliche Vergöttlichung mußte das Werk des Eros sein. Man
kann wohl mit Sicherheit sagen, daß für diesen Grundgedanken
Plato Anhalt und Ausgangspunkt gegeben hat; das zeigt schon
die geschickt erfundene Motivierung: der einmalige Anblick der
göttlichen Schönheit ist es, der die unbezwingliche Sehnsucht in
Psyche wachruft2. An dem größten und tiefsten Dichter, der je
für hellenisches Gottesempfinden Ausdruck gesucht hat, hat der
Alexandriner sich gebildet; aber freilich alexandrinisch ist doch,
was er schuf, geblieben. An die Typen frühalexandrinischer Dich-
tung lehnt sich diese Erzählung von der Liebe auf den ersten Blick
an, alexandrinisch ist es empfunden, wenn aus den Qualen und
den Martern der Psyche in dem Reich der Materie jetzt die Proben
treuer Liebe werden. Eine rein menschliche Motivierung mußte
ja jetzt versucht werden: Eros muß erzürnt sein, Aphrodite die
Psyche peinigen3, die Versöhnung endlich eintreten. So wird der

1 Wieweit auf diesen Grundgedanken der ganzen Umbildung' auch
ein Kunstwerk Einfluß üben konnte, müssen Archäologen entscheiden. Älter
scheint die Zusammenstellung des Eros mit einer beflügelten Göttin (Wol-v
ters, Archäolog. Zeitung 1894 S. 11 Taf. 1, vgl. Petersen, Rom. Mitteilungen
1901 S. 71, oben S. 94), ebenso die Darstellung eines Eros und einer Psyche
neben einem menschlichen Liebespaar. Wie alt die berühmte Gruppe der
allein dargestellten beiden Kinder ist, entzieht sich meinem Urteil; aber
höchstens kann sie jenem Dichter einen Anhalt geboten haben; der Mythos
selbst ist von ihr ganz unabhängig und will unabhängig behandelt werden.
,2 Geht auf den alexandrinischen Dichter auch die Einführung des Eros
als Fährmann zurück, so mochte Plato Symp. 202 e den Anhalt geboten
haben, der den Eros zu dem διαπορθμευον γένος, den göttlichen Boten und
Mittlern, nämlich den Dämonen rechnet.
3 Da der Mythos den Zug bot, daß Psyche in der Welt der Materie
'Sklavin’ ist, wird dieser Zug übernommen; in der Erzählung ist er nicht recht
motiviert.
 
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