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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0109
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Die Göttin Psyche.

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thos herzustellen, nur eine unsichere Vermutung geben kann, die
weitere Forschung hervorrufen soll.
Sicher steht zunächst, daß der schlangenförmige Sohn des
Herrschers (oder der Herrscherin) der Finsternis (Materie) die
Tochter des Lichtkönigs für sich begehrt und sie erhält. Er hat
ihr einen Zauberpalast verheißen und hält sie dort gefangen1.
Nach einer kurzen Zeit der Freude beginnt für sie Demütigung
und Qual. Da kommt zu ihr unsichtbar, nur als Stimme, der gött-
liche Bote und erinnert sie an ihre Abstammung und Heimat.
Freilich muß er dann zunächst wieder in den Himmel zurück-
kehren (vgl. die manichäische Kosmogonie § 1). In diesem Boten
sehe ich, wie schon erwähnt, den unsichtbaren Gatten der späteren
Novellenfassung. Eine Bestätigung finde ich in der Erzählung
der Valentinianer, bei denen Achamoth für Psyche eingesetzt
ist. In dem Bericht des Irenaeus ist das Motiv verdoppelt; bei
dem ersten Male heißt es (1 4, 1, vgl. oben S. 59) von Psyche und
dem Logos (Christus) κενωθεΐσα του άοράτως αυτή συνόντος Λόγου2,
beim zweiten Male (I 4, 5) steigt der Soter, der wie der πρώτος
άνθρωπος geschildert wird, zu der Achamoth-Psyche nieder, be-
freit sie von den πάθη und der ΰλη, und sie empfängt von ihm
(oder seinen Engeln) den Samen des Lichtes; ihre Kinder sind dann
die Pneumatiker, die mit ihr am Ende aller Dinge zur Himmels-
hochzeit emporgeführt werden. Da auch das manichäische Lied
diese Kinder der Psyche kannte, dürfen wir wohl diese Vorstellung
ganz auf es übertragen. Psyche bricht die Macht des bösen Dä-
mons und entrinnt ihrem Gefängnis, aber allein gelassen empfindet
sie Schmerz, Furcht und Ratlosigkeit (zu dem valentinianischen
Bericht treten ergänzend der Naassener-Hymnus und die Mahn-
rede des Hermes an die Seele); sie durchirrt das ganze Reich der
Materie und beseelt es dadurch, aber sie kann für sich keinen Aus-
weg aus ihm finden; die Grenze hält sie zurück, bis endlich der

1 Hierdurch erklären sich die Angaben des Alexander von Lykopolis
(oben S. 6) und die Unklarheiten in anderen Berichten. Sehr möglich, daß
sich hier Psyche freiwillig — aus Neugier ·—zur Materie geneigt hat (ενευσεν,
έσφάλη). Es liegt ja ein von dem Mythos vom Urmenschen verschiedener
Mythos vor (oben S. 90), und Mani und seine Anhänger werden an verschie-
denen Stellen verschieden gesprochen haben, wie die Gnostiker des Plotin und
wie so manche anderen Gnostiker.
2 Bei der Erinnerung an ihn und sein Licht lacht sie beseeligt (I 4, 2).
Schon das weist auf eine Liebesvereinigung.
 
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