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Rudolf Asmus:
mungswürdigen Lebenswandels. Diese Bezichtigungen hatte der
christenfreundliche Gegner, ein ägyptischer Vertreter der kyni-
schen Sekte, in einem vor dem 21. Juni in Konstantinopel gehal-
tenen Vortrage (235, 7; vgl. Libanios Or. XVII 16 über J. VII)
offenbar in der Absicht vorgebracht, dadurch mittelbar den
kaiserlichen Bewunderer des κύων κατ’ εξοχήν zu treffen. Denn
Julian war seit dem im Anfang des Jahres erfolgten Eintreffen
seines verehrten Lehrers und Meisters, des Jamblichosschülers
Maximus von Ephesos1, vollends unter den Einfluß dieses Mysti-
kers gekommen, der die antisthenische Lebensart als hellenistischer
Neuplatoniker vertrat (Epist. 38, 535, 19) und seinem Jünger, den er
dem Christentum abspenstig gemacht, denselben Stempel aufgeprägt
hatte. Das Verdikt über den nunmehr hoffähig gewordenen Kynis-
mus des Diogenes2 war allem Anschein nach eine programmatische
Erwiderung auf die einige Monate ältere Rede des Kaisers ,,auf
die Göttermutter (V)“. Dieser Hymnus stellt nämlich ein Manifest
des Hellenismus dar und ist seinerseits die positive Ergänzung
der Invektive προς Ηράκλειον Κυνικόν (VII), mit welcher der ge-
krönte Christenfeind die Ausfälle dieses gleichfalls christenfreund-
lichen Kynikers gegen seinen Glauben und seine Lebensgebarung
beantwortet hatte. Die Abwehr „gegen die ungebildeten Hunde“
erhebt sich demnach mit ihrer „Rettung“ des Diogenes zu der
Bedeutung einer Rechtfertigung der durch den Abtrünnigen in
der allgemeinen Lebensauffassung und -gestaltung heraufbeschwore-
nen Reaktion gegen das Christentum.
Für Julian ist der Mann von Sinope der königliche Weise.
In diesem Sinne schreibt er ihm gerade die Tugenden zu, in wel-
chen der „Alkibiades“ die unumgänglichen Erfordernisse zum
Betreten der politischen Laufbahn findet. Die grundsätzliche
Verwandtschaft mit dem Gespräch beruht demnach auf der höheren
Einheit von Philosophie und Politik, wie sie von Platon (Resp.
473 D; 525 B; 540 D; 543 A) und von den Stoikern gelehrt wurde.
Die Lehren, die sich aus der Darstellung des echten, alten Kynis-
mus für den Jünger dieser Lebensweisheit ergeben, verleihen
aber auch der nur wenig früheren antikynischen Streitschrift ihr
1 S. Seeck, Die Briefe des Libanius. Leipzig 1906, 208 ff.
2 S. Asmus, Gregorius von Nazianz und sein Verhältnis zum Kynismus.
Theol. Studien und Kritiken, 1894, 331 ff.
Rudolf Asmus:
mungswürdigen Lebenswandels. Diese Bezichtigungen hatte der
christenfreundliche Gegner, ein ägyptischer Vertreter der kyni-
schen Sekte, in einem vor dem 21. Juni in Konstantinopel gehal-
tenen Vortrage (235, 7; vgl. Libanios Or. XVII 16 über J. VII)
offenbar in der Absicht vorgebracht, dadurch mittelbar den
kaiserlichen Bewunderer des κύων κατ’ εξοχήν zu treffen. Denn
Julian war seit dem im Anfang des Jahres erfolgten Eintreffen
seines verehrten Lehrers und Meisters, des Jamblichosschülers
Maximus von Ephesos1, vollends unter den Einfluß dieses Mysti-
kers gekommen, der die antisthenische Lebensart als hellenistischer
Neuplatoniker vertrat (Epist. 38, 535, 19) und seinem Jünger, den er
dem Christentum abspenstig gemacht, denselben Stempel aufgeprägt
hatte. Das Verdikt über den nunmehr hoffähig gewordenen Kynis-
mus des Diogenes2 war allem Anschein nach eine programmatische
Erwiderung auf die einige Monate ältere Rede des Kaisers ,,auf
die Göttermutter (V)“. Dieser Hymnus stellt nämlich ein Manifest
des Hellenismus dar und ist seinerseits die positive Ergänzung
der Invektive προς Ηράκλειον Κυνικόν (VII), mit welcher der ge-
krönte Christenfeind die Ausfälle dieses gleichfalls christenfreund-
lichen Kynikers gegen seinen Glauben und seine Lebensgebarung
beantwortet hatte. Die Abwehr „gegen die ungebildeten Hunde“
erhebt sich demnach mit ihrer „Rettung“ des Diogenes zu der
Bedeutung einer Rechtfertigung der durch den Abtrünnigen in
der allgemeinen Lebensauffassung und -gestaltung heraufbeschwore-
nen Reaktion gegen das Christentum.
Für Julian ist der Mann von Sinope der königliche Weise.
In diesem Sinne schreibt er ihm gerade die Tugenden zu, in wel-
chen der „Alkibiades“ die unumgänglichen Erfordernisse zum
Betreten der politischen Laufbahn findet. Die grundsätzliche
Verwandtschaft mit dem Gespräch beruht demnach auf der höheren
Einheit von Philosophie und Politik, wie sie von Platon (Resp.
473 D; 525 B; 540 D; 543 A) und von den Stoikern gelehrt wurde.
Die Lehren, die sich aus der Darstellung des echten, alten Kynis-
mus für den Jünger dieser Lebensweisheit ergeben, verleihen
aber auch der nur wenig früheren antikynischen Streitschrift ihr
1 S. Seeck, Die Briefe des Libanius. Leipzig 1906, 208 ff.
2 S. Asmus, Gregorius von Nazianz und sein Verhältnis zum Kynismus.
Theol. Studien und Kritiken, 1894, 331 ff.