Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus.
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Völker beginnen mit Mythologie“; in ihrem Gewände erscheint
„die älteste Philosophie des Volks“; ihre Tradition „brachte in
ungebildete Menschenhorden Harmonie und Einheit und ward
ein sanftes Band, durch welches die Gesellschaft Einer Familie
zu Einer Lehre, zu Einem Glauben, zu Einer Tätigkeit verbunden
wurde“. Was die Weiseren „zum Glauben des Volkes weihten“,
konnte nur dadurch diesem eigen werden, daß diese älteste Philo-
sophie „sinnlich“, d. h. eben Mythologie wurde. Und nicht etwa
bloß „zum Behuf des sinnlichen Volks“ — nein, auch diese Weisen
selbst waren kaum fähig, anders als in „sinnlichen Zeichen“,
„sinnlichen Begriffen“ zu denken; ist doch, wie der Schüler
Herders wohl weiß, „Sinnlichkeit überhaupt der Charakter der
ältesten Welt“. Selbst Platon noch scheint damals „zu der sinn-
lichen Darstellung seiner Philosophie genötigt gewesen zu sein“.
Für die Vergangenheit also hat Schelling schon die Theorie von
1800; für Gegenwart und Zukunft freilich verwirft der Zögling
der Aufklärung die Mythologie: „Erwacht der Mensch zu höherer
Tätigkeit, so verläßt er Bilder und Träume der Jugend und sucht
die Natur seinem Verstände begreiflich zu machen“. Die Griechen
allein bildeten hier eine Ausnahme. Bei ihnen hat „selbst beim
Philosophieren über die Gesetzmäßigkeit der Natur... die griechische
Sinnlichkeit ihr Recht nicht auf gegeben“. Stets bleibt mythisches
Denken letzthin doch ein Kennzeichen des „Mangels an voll-
kommen entwickelten Begriffen“’. Der Gedanke, daß „Mythologie“
am Ziele der Menschheit steht, wie sie an ihrer Wiege stand, ist
noch ungedacht.
Nicht das Motiv, aus dem später dieser Gedanke erwuchs:
die Notwendigkeit allgemeiner „Einheit des Wissens, des Glaubens
und des Wollens“. Das „große Gefühl dieser Ansicht“, so wünscht
er 1794, möge keinem seiner Leser fremd sein; es sei „das letzte
Erbe der Menschheit, das sie bald lauter als jemals fordern werde“.
Ebenso ruft die Vorrede zur Schrift vom „Ich“ 1795 aus, es sei
„schwer, der Begeisterung zu widerstehen“ bei dem „großen Ge-
danken“’, daß gleich den Wissenschaften, welche, „selbst die empiri-
schen nicht ausgenommen, immer mehr dem Punkte vollendeter
Einheit entgegeneilen“, so auch die Menschheit selbst „endlich
sich wieder sammeln und als eine vollendete Person demselben
Gesetze der Freiheit gehorchen werde“. Die von Schelling unter-
nommene Arbeit an der Vollendung des Einswerdens der Wissen-
schaften wird „jene große Periode der Menschheit“ wenigstens
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Völker beginnen mit Mythologie“; in ihrem Gewände erscheint
„die älteste Philosophie des Volks“; ihre Tradition „brachte in
ungebildete Menschenhorden Harmonie und Einheit und ward
ein sanftes Band, durch welches die Gesellschaft Einer Familie
zu Einer Lehre, zu Einem Glauben, zu Einer Tätigkeit verbunden
wurde“. Was die Weiseren „zum Glauben des Volkes weihten“,
konnte nur dadurch diesem eigen werden, daß diese älteste Philo-
sophie „sinnlich“, d. h. eben Mythologie wurde. Und nicht etwa
bloß „zum Behuf des sinnlichen Volks“ — nein, auch diese Weisen
selbst waren kaum fähig, anders als in „sinnlichen Zeichen“,
„sinnlichen Begriffen“ zu denken; ist doch, wie der Schüler
Herders wohl weiß, „Sinnlichkeit überhaupt der Charakter der
ältesten Welt“. Selbst Platon noch scheint damals „zu der sinn-
lichen Darstellung seiner Philosophie genötigt gewesen zu sein“.
Für die Vergangenheit also hat Schelling schon die Theorie von
1800; für Gegenwart und Zukunft freilich verwirft der Zögling
der Aufklärung die Mythologie: „Erwacht der Mensch zu höherer
Tätigkeit, so verläßt er Bilder und Träume der Jugend und sucht
die Natur seinem Verstände begreiflich zu machen“. Die Griechen
allein bildeten hier eine Ausnahme. Bei ihnen hat „selbst beim
Philosophieren über die Gesetzmäßigkeit der Natur... die griechische
Sinnlichkeit ihr Recht nicht auf gegeben“. Stets bleibt mythisches
Denken letzthin doch ein Kennzeichen des „Mangels an voll-
kommen entwickelten Begriffen“’. Der Gedanke, daß „Mythologie“
am Ziele der Menschheit steht, wie sie an ihrer Wiege stand, ist
noch ungedacht.
Nicht das Motiv, aus dem später dieser Gedanke erwuchs:
die Notwendigkeit allgemeiner „Einheit des Wissens, des Glaubens
und des Wollens“. Das „große Gefühl dieser Ansicht“, so wünscht
er 1794, möge keinem seiner Leser fremd sein; es sei „das letzte
Erbe der Menschheit, das sie bald lauter als jemals fordern werde“.
Ebenso ruft die Vorrede zur Schrift vom „Ich“ 1795 aus, es sei
„schwer, der Begeisterung zu widerstehen“ bei dem „großen Ge-
danken“’, daß gleich den Wissenschaften, welche, „selbst die empiri-
schen nicht ausgenommen, immer mehr dem Punkte vollendeter
Einheit entgegeneilen“, so auch die Menschheit selbst „endlich
sich wieder sammeln und als eine vollendete Person demselben
Gesetze der Freiheit gehorchen werde“. Die von Schelling unter-
nommene Arbeit an der Vollendung des Einswerdens der Wissen-
schaften wird „jene große Periode der Menschheit“ wenigstens