Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus.
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triebe der Gegenwart dies Verfahren nicht angeht, so muß — und
hier meldet sich abermals die esoterische Stimmung — die Philo-
sophie deswegen ,,ihrer Darstellung soviel Würde, Strenge und
Erhabenheit des Vortrags geben, daß jedes Blatt dem Profanen
zuruft: procul, procul esto“.
Ein Halbjahr später scheint es fast, als wenn dies ,,procul
profani“ jetzt alles andere zurückgedrängt hätte. Die höchst
heftige Antikritik vom 26. X. ruft es dem Rezensenten zu und
fordert, daß die Wissenschaft aufhöre mitteilbar zu sein, ein Ge-
danke, der in den Abhandlungen des Winters nicht wieder zur
Ruhe kommt. Da ,,Philosophie nicht jedermanns Ding ist“, ja es
der „wahre Prüfstein“ der Philosophie ist, daß „geistlose Menschen
von ihr ausgeschlossen sind“, und solchen „unverständlich zu
bleiben, Ruhm und Ehre vor Gott und Menschen“ ist, so wird,
was Anfang 1796 noch Verbrechen an der Menschheit geheißen
hatte, nunmehr ein Ruhmestitel jener „herrlichsten Staaten der
alten Welt“, daß man dort „die Wahrheit vor den Profanen,
d. h. Unwürdigen, durch Mysterien zu verbergen“ suchte. Man
kann sich bei so scharfen Worten schwer der Vermutung ent-
ziehen, daß die persönliche Verärgertheit über die ersten literari-
schen Widerwärtigkeiten, die dem. jungen Philosophen begegneten
(vgl. Brief 1. V. 96), ihren Einfluß hier geäußert habe. Wie dem
aber auch sei — der Gedanke einer neuen Mythologie als der
Religion der Zukunft bleibt Schelling unverloren; bald — 1798 —
erklärt er, daß jede Religion, die theoretisch ist, in Mythologie
übergehe, und sie „wird und soll immer Mythologie und nie etwas
anderes werden (denn sie kann überhaupt nur poetische Wahr-
heit haben und nur als Mythologie ist sie wahr)“. Seit 1799 hat
Schelling dann diesen Gedanken mit dem anderen, daß Gott nicht
ist, sondern nur sein wird, zu weltgeschichtsphilosophischen Ge-
samtbildern zusammenzuarbeiten begonnen; die Richtung aber
auf die Zukunftsreligion, in die sich die neue Mythologie umsetzen
müsse, ist schon damals, ja schon seit dem Brief vom 12. III. 96,
entschieden.
*
„Zu gleicher Zeit hören wir sooft, der große Haufen müsse eine
„sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch
„der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des
„Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies
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triebe der Gegenwart dies Verfahren nicht angeht, so muß — und
hier meldet sich abermals die esoterische Stimmung — die Philo-
sophie deswegen ,,ihrer Darstellung soviel Würde, Strenge und
Erhabenheit des Vortrags geben, daß jedes Blatt dem Profanen
zuruft: procul, procul esto“.
Ein Halbjahr später scheint es fast, als wenn dies ,,procul
profani“ jetzt alles andere zurückgedrängt hätte. Die höchst
heftige Antikritik vom 26. X. ruft es dem Rezensenten zu und
fordert, daß die Wissenschaft aufhöre mitteilbar zu sein, ein Ge-
danke, der in den Abhandlungen des Winters nicht wieder zur
Ruhe kommt. Da ,,Philosophie nicht jedermanns Ding ist“, ja es
der „wahre Prüfstein“ der Philosophie ist, daß „geistlose Menschen
von ihr ausgeschlossen sind“, und solchen „unverständlich zu
bleiben, Ruhm und Ehre vor Gott und Menschen“ ist, so wird,
was Anfang 1796 noch Verbrechen an der Menschheit geheißen
hatte, nunmehr ein Ruhmestitel jener „herrlichsten Staaten der
alten Welt“, daß man dort „die Wahrheit vor den Profanen,
d. h. Unwürdigen, durch Mysterien zu verbergen“ suchte. Man
kann sich bei so scharfen Worten schwer der Vermutung ent-
ziehen, daß die persönliche Verärgertheit über die ersten literari-
schen Widerwärtigkeiten, die dem. jungen Philosophen begegneten
(vgl. Brief 1. V. 96), ihren Einfluß hier geäußert habe. Wie dem
aber auch sei — der Gedanke einer neuen Mythologie als der
Religion der Zukunft bleibt Schelling unverloren; bald — 1798 —
erklärt er, daß jede Religion, die theoretisch ist, in Mythologie
übergehe, und sie „wird und soll immer Mythologie und nie etwas
anderes werden (denn sie kann überhaupt nur poetische Wahr-
heit haben und nur als Mythologie ist sie wahr)“. Seit 1799 hat
Schelling dann diesen Gedanken mit dem anderen, daß Gott nicht
ist, sondern nur sein wird, zu weltgeschichtsphilosophischen Ge-
samtbildern zusammenzuarbeiten begonnen; die Richtung aber
auf die Zukunftsreligion, in die sich die neue Mythologie umsetzen
müsse, ist schon damals, ja schon seit dem Brief vom 12. III. 96,
entschieden.
*
„Zu gleicher Zeit hören wir sooft, der große Haufen müsse eine
„sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch
„der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des
„Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies