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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0006
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Erwin Preuschen:

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geben, weil es der Kirche an jedem Mittel gebrach, einen solchen
Text durchzusetzen. Wohl konnte in einer Kirchenprovinz, wenn
sich Unzuträglichkeiten in der Benutzung der verschiedenen, etwa
stark voneinander abweichenden Handschriften herausstellten, den
Gemeinden der Gebrauch einer bestimmten Rezension empfohlen
und sie auch dazu angehalten werden.7 8) Aber selbst dazu wird
die Macht der Metropoliten nicht gereicht haben, diese Maßregel,
wo Gemeinden aus Trägheit oder Unverstand oder Absicht sich
widersetzten, mit Gewalt durchzuführen.s) Wenn das nun schon
zu einer Zeit unmöglich war, in der die Kirche eine straffe Ver-
fassung besaß, so ist es vollends Undenkbar in den Jahrhunderten,
in denen die Gemeinden über ein außerordentliches Maß von Selb-
ständigkeit verfügten und ihre Leiter von ganz anderen Sorgen
gedrückt waren, als denen um Gleichförmigkeit der heiligen
Texte. Zudem besitzen wir noch ein durchaus unverdächtiges
Zeugnis über den Zustand der neutestamentlichen Texte aus dem
Mund des Mannes, der von allen christlichen Gelehrten der alten
Kirche den schärfsten Blick auch für die textkritischen Fragen
besaß, und der zeitlebens die Schulung nicht verleugnete, die er
einst in seiner Jugend von den alexandrinischen Philologen emp-
fangen hatte. Origenes äußert sich gelegentlich einer Auseinander-
setzung über Matth. 19, 19ff. in resignierter Weise über die Mög-
7) Als im 2. Jahrh. in einigen Gegenden Kleinasiens das Petrusevangelium
auftauchte und hei dem Publikum wegen seiner Anschaulichkeit Beifall fand,
wurde den Gemeinden die Benutzung durch den Bischof Serapion von Antiochien
untersagt (Euseb, h. e. VI 12, 2 ff'.). Daß man es trotzdem nicht ausrotten
konnte, obgleich seine Verbreitung nicht sonderlich groß gewesen sein kann, be-
weist. zur Genüge das Bruchstück, das in Ägypten zutag gekommen ist. Da die
Handschrift, in der das Bruchstück erhalten ist, aus dem 8. Jahrh. stammt, hat
es trotz der Unterdrückungsversuche doch noch jahrhundertelang sein Dasein
fristen können. Wenn es bei einer Schrift, die man als häretisch empfand, nicht
möglich war, sie den Händen der Leser zu entwinden, so wird es hei Hand-
schriften des N. T. noch viel weniger möglich gewesen sein, da deren Abweichungen
höchstens als störend, gewiß aber nicht als seelenverderblich angesehen wurden.
8) In Syrien war bis in das 5. Jahrh. hinein in den Gemeinden allgemein
das Diatessaron im Gebrauch. Trotzdem man mit Feuer und Schwert dagegen
wütete — Theodoret von Kyrrhos rühmt sich mehr als 200 Exemplare eingezogen
und durch die getrennten Evangelien ersetzt zu haben (haer. fab. I 20); Rabbüla
von Edessa (f 435) schärfte ebenfalls den Gebrauch der Peschitto ein — konnte
noch Jahrhunderte später das Diatessaron ins Arabische übersetzt werden, war
also nicht nur noch vorhanden, sondern auch so weit im Gebrauch, daß sich
eine Übersetzung als wünschenswert erwies. Näheres darüber muß später zur
Sprache kommen.
 
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