Metadaten

Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0005
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.

solcher Strategie und Geographie kein Wörtchen sagt. Ihr schwebt
offenbar nichts dergleichen vor. Was sie sieht, sind anschauliche
Bilder. Die anrückenden Götterfeinde sieht sie als den schild-
tragenden Hrymr, der aus dem östlichen Riesenland heranfährt
zur Küste; als die Weltschlange, die sich wütend im Meere wälzt
und die Wogen emporpeitscht; als den leichenhungrigen, kräch-
zenden Adler — beide Tiere haben ihren Platz am Weltrande
verlassen und dringen nun gegen die Mitte vor —; als das Schiff
mit den dämonischen Gestalten der 'Ungeheuersöhne’ {fifls megir),
des Loki und des Wolfes; endlich als Surt, der von Süden 'mit
dem Feuer’ naht, so daß Felswände einstürzen und der Himmel
birst. Diese Bilder ergeben zusammen den Eindruck einer von
allen Seiten andringenden furchtbaren Gefahr, einer beginnen-
den Katastrophe ohnegleichen. Um diesen Eindruck ist es dem
Dichter zu tun. Dafür bürgen uns seine Sprache, sein Stil, die
ganze impressionistische Art, die sein Werk durchweg zur Schau
trägt (vgl. besonders Str. 45 f.). Dieser Eindruck genügt ihm aber
auch. Denken wir uns seine Schilderung ergänzt durch das, was
Olsen hineininterpretiert, so wird jener Eindruck zerstört. Surt
muß plötzlich erscheinen, mit einem grellen Glanz von Süden
her; das gehört nicht nur zum Wesen dieser Darstellung, es stimmt
auch zu den anderen Ragnarökquellen, die den Surt erwähnen,
besonders zu Snorri, da dieser das Überraschende des Augenblickes
sogar verstärkt, indem er Surt und die Muspellssöhne unmittel-
bar nach dem Bersten des Himmelsgewölbes durch den Riß herein-
reiten läßt. Hieraus folgt, daß der Dichter nicht gewollt hat,
der Hörer solle schon bei Str. 51 an Surt denken. Es folgt ferner,
daß der Hörer auch nicht an eine vor der Surtstrophe sich voll-
ziehende strategische Operation, ein Einschwenken nordwärts,
denken soll. Auch Snorri führt auf so etwas nicht. Denn es ist
etwas ganz Anderes, wenn dieser die Schar des Surt und die ande-
ren Dämonen sich auf dem Felde Yigriör zur großen Schlacht
vereinigen läßt. Dies widerspricht ja dem Anmarsch in geschlosse-
ner Kolonne, den Olsen in der Surtstrophe findet. Die Völuspä
denkt sich ebenso wie Snorri eine Vereinigung der Feindesscharen
irgendwo in der Mitte des Raumes, dort, wo dann die Götter mit
ihnen kämpfen. Es bestellt also tatsächlich zwischen Völuspä
und Gylfaginning eine viel bessere. Übereinstimmung, als Olsen
in dem Streben, Snorris Auffassung als alt zu erweisen! -
schließlich gelten läßt. Wir können sagen: es besteht vortreff-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften