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Gustav Neckel:
Vegt. 14). Auch die bestimmtere Ausdrucksweise Heliand 2591
mutspelles megin obar man ferid hat im Norden ihr Gegenstück:
Muspellz synir rida Myrkvid yfir, Lokasenna 42, denn faran und
rida sind synonym, zumal beide mit 'über’ verbunden sind und
auch jaran nach dem Zusammenhang eine schnelle Bewegung
bezeichnen muß: beiden Dichtern schwebt eine oben, also in der
Luft heraneilende verderbliche Schar vor. Von den beiden Be-
deutungen des altsächsischen Wortes megin, 'Kraft5 und 'Schar5,
kommt wegen des zugehörigen Verbums faran am ehesten die
zweite in Betracht. Altsächsisch mutspelles megin ähnelt aber
recht auffallend altnordischem Muspellz megir, das Snorri poeti-
scher Überlieferung entnimmt, und das mehrere Kritiker in die
Zeile der Lokasenna eingeführt haben. Anderseits braucht die
Völuspä von Surt, dem alten Anführer der Muspellz megir, das
Verbum fara\ Surtr ferr sunnan med sviga lxvi1 'S. fährt von
Süden mit der Zweige Vernichter5. Führen wir hier die skaldi-
sche Umschreibung sviga Ix auf ihren Grundbegriff zurück, so
erhalten wir den Stabreim ferr med fyri, und dieser kehrt wieder
in der altbayerischen Muspillipredigt V. 56: verit mit diu vuiru
viriho wisön. Allerdings lautet hier das Subjekt stüatago, 'der
Tag des Gerichts5, aber das ist, wie gleich der folgende Vers und
besonders Heliand 4358. 60 (mudspelli — the dag) zeigen, für den
Dichter etwa gleichbedeutend mit muspilli, so daß also auch ein
Muspilli verit mit vuiru bestanden haben kann.
Die altbayerischen, altsächsischen und altisländischen Verse
vom Muspell stehen also sicher in literargeschichtlichem Zusam-
menhang. Also müssen auch die Vorstellungen, denen sie Aus-
druck geben, in Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang
beschränkt sich aber natürlich nicht auf diejenigen Vorstellungen,
die in den aneinander anklingenden Worten und Sätzen ent-
halten sind, sondern erstreckt sich auch auf die größeren Inhalts-
einheiten, in denen jene Worte und Sätze jeweils in der einzelnen
Quelle auftreten. Freilich kann erst die Vergleichung der Motive
darüber entscheiden, wo hier die Grenze zu ziehen ist. Unsere
Aufgabe ist, das gesamte Material nach seinem Vorstellungsinhalt
zu vergleichen, dadurch diesen zu klären und auf seine Natur
und Geschichte Schlüsse zu ziehen.
Gleich vorweg drängt sich eine Beobachtung auf. Wir be-
merken, daß das die Welt verheerende Feuer, das nach der
Völuspä Surtr mit sich führt, für den bayerischen Geistlichen
Gustav Neckel:
Vegt. 14). Auch die bestimmtere Ausdrucksweise Heliand 2591
mutspelles megin obar man ferid hat im Norden ihr Gegenstück:
Muspellz synir rida Myrkvid yfir, Lokasenna 42, denn faran und
rida sind synonym, zumal beide mit 'über’ verbunden sind und
auch jaran nach dem Zusammenhang eine schnelle Bewegung
bezeichnen muß: beiden Dichtern schwebt eine oben, also in der
Luft heraneilende verderbliche Schar vor. Von den beiden Be-
deutungen des altsächsischen Wortes megin, 'Kraft5 und 'Schar5,
kommt wegen des zugehörigen Verbums faran am ehesten die
zweite in Betracht. Altsächsisch mutspelles megin ähnelt aber
recht auffallend altnordischem Muspellz megir, das Snorri poeti-
scher Überlieferung entnimmt, und das mehrere Kritiker in die
Zeile der Lokasenna eingeführt haben. Anderseits braucht die
Völuspä von Surt, dem alten Anführer der Muspellz megir, das
Verbum fara\ Surtr ferr sunnan med sviga lxvi1 'S. fährt von
Süden mit der Zweige Vernichter5. Führen wir hier die skaldi-
sche Umschreibung sviga Ix auf ihren Grundbegriff zurück, so
erhalten wir den Stabreim ferr med fyri, und dieser kehrt wieder
in der altbayerischen Muspillipredigt V. 56: verit mit diu vuiru
viriho wisön. Allerdings lautet hier das Subjekt stüatago, 'der
Tag des Gerichts5, aber das ist, wie gleich der folgende Vers und
besonders Heliand 4358. 60 (mudspelli — the dag) zeigen, für den
Dichter etwa gleichbedeutend mit muspilli, so daß also auch ein
Muspilli verit mit vuiru bestanden haben kann.
Die altbayerischen, altsächsischen und altisländischen Verse
vom Muspell stehen also sicher in literargeschichtlichem Zusam-
menhang. Also müssen auch die Vorstellungen, denen sie Aus-
druck geben, in Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang
beschränkt sich aber natürlich nicht auf diejenigen Vorstellungen,
die in den aneinander anklingenden Worten und Sätzen ent-
halten sind, sondern erstreckt sich auch auf die größeren Inhalts-
einheiten, in denen jene Worte und Sätze jeweils in der einzelnen
Quelle auftreten. Freilich kann erst die Vergleichung der Motive
darüber entscheiden, wo hier die Grenze zu ziehen ist. Unsere
Aufgabe ist, das gesamte Material nach seinem Vorstellungsinhalt
zu vergleichen, dadurch diesen zu klären und auf seine Natur
und Geschichte Schlüsse zu ziehen.
Gleich vorweg drängt sich eine Beobachtung auf. Wir be-
merken, daß das die Welt verheerende Feuer, das nach der
Völuspä Surtr mit sich führt, für den bayerischen Geistlichen