Studien zu- den gerrn. Dichtungen vom Weltuntergang.
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bietet keinen Anlaß, diese Alternative aufzuwerfen1. Wohl aber
das zwischen Eliasgedicht und Heliand. Wir sahen, daß die
Verse beider Denkmäler vom muspilli (mudspelli) auf vorchrist-
liche mündliche Dichtung zurückgehen. Aber beide Denkmäler
setzen den Begriff muspilli in Verbindung mit dem Jüngsten
Gericht und dem es begleitenden Weltbrand, besonders mit 'jenem
Tage’, von dem das Neue Testament in diesem Zusammenhänge
spricht, der wie ein Fallstrick über die Menschen kommen soll
(repentina dies illa, Luk. 21,34): das kann nicht auf vorchrist-
liche Dichtung zurückgehen. Wir werden also schließen müssen,
daß es sich um einen doppelten Zusammenhang handelt. Ein
geistlicher Dichter oder ein Prediger hat den Jüngsten Tag, der
plötzlich über die Menschen kommt, und bei dem es zugeht, wie
wenn man mit Feuer das Unkraut verbrennt (Mt. 13,40), seinen
Landsleuten anschaulich gemacht, indem er ihn Mudspell oder
Mudspelles megin nannte. Eine solche Veranschaulichung schien
wünschenswert, denn 'jener Tag’ des Evangeliums ist ein unklares
Etwas, dessen Eindruck auf die Gemüter darum fragwürdig war.
Die Assoziation mit Muspell aber lag ungemein nahe, wenn dieses
Wort an den Dämon denken ließ, der am Ende der Dinge plötzlich
und unwiderstehlich mit Feuer über die Welt einherfährt. Der
so geschaffene christlich-germanische Begriff war eine glückliche
Bereicherung des geistlichen Wortschatzes. Er fand Anklang.
Die Dichter, die ihn übernahmen, kannten ebenso wie der, der
ihn geprägt hatte, heidnische Verse, in denen vom Muspell die
Bede war — vermutlich immer dieselben, das Gedicht vom Kampf
des Gottes gegen den Unhold. Dadurch empfahl sich auch ihnen
der Ausdruck, und daher gebrauchten auch sie ihn in Wendungen,
die sich an die heidnischen Verse anlehnten. Als das Wort seine
heidnische Besonanz verlor, kam es von selbst außer Gebrauch,
weil es seinen Dienst, die Eindringlichmachung der Schrecken
des Gerichtstages, nicht mehr versehen konnte.
Vermutlich ist es also kein Zufall, daß es gerade altsächsi-
sche und altbayerische Gedichte sind, die das Wort mudspell(i),
muspilli gebrauchen. Denn in Nord- und Ostdeutschland hat
das Christentum sich später und langsamer durchgesetzt als da,
wo die Germanen auf römischem Kulturboden saßen, in den
1 Der Anklang von Grist 984: feered sefter foldan fyrswearta leg an den
'Musp.’-Vers verit mid diu vuiru und an anord. *ferr med fyri (oben S. 26)
kann allein nicht viel bedeuten.
3*
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bietet keinen Anlaß, diese Alternative aufzuwerfen1. Wohl aber
das zwischen Eliasgedicht und Heliand. Wir sahen, daß die
Verse beider Denkmäler vom muspilli (mudspelli) auf vorchrist-
liche mündliche Dichtung zurückgehen. Aber beide Denkmäler
setzen den Begriff muspilli in Verbindung mit dem Jüngsten
Gericht und dem es begleitenden Weltbrand, besonders mit 'jenem
Tage’, von dem das Neue Testament in diesem Zusammenhänge
spricht, der wie ein Fallstrick über die Menschen kommen soll
(repentina dies illa, Luk. 21,34): das kann nicht auf vorchrist-
liche Dichtung zurückgehen. Wir werden also schließen müssen,
daß es sich um einen doppelten Zusammenhang handelt. Ein
geistlicher Dichter oder ein Prediger hat den Jüngsten Tag, der
plötzlich über die Menschen kommt, und bei dem es zugeht, wie
wenn man mit Feuer das Unkraut verbrennt (Mt. 13,40), seinen
Landsleuten anschaulich gemacht, indem er ihn Mudspell oder
Mudspelles megin nannte. Eine solche Veranschaulichung schien
wünschenswert, denn 'jener Tag’ des Evangeliums ist ein unklares
Etwas, dessen Eindruck auf die Gemüter darum fragwürdig war.
Die Assoziation mit Muspell aber lag ungemein nahe, wenn dieses
Wort an den Dämon denken ließ, der am Ende der Dinge plötzlich
und unwiderstehlich mit Feuer über die Welt einherfährt. Der
so geschaffene christlich-germanische Begriff war eine glückliche
Bereicherung des geistlichen Wortschatzes. Er fand Anklang.
Die Dichter, die ihn übernahmen, kannten ebenso wie der, der
ihn geprägt hatte, heidnische Verse, in denen vom Muspell die
Bede war — vermutlich immer dieselben, das Gedicht vom Kampf
des Gottes gegen den Unhold. Dadurch empfahl sich auch ihnen
der Ausdruck, und daher gebrauchten auch sie ihn in Wendungen,
die sich an die heidnischen Verse anlehnten. Als das Wort seine
heidnische Besonanz verlor, kam es von selbst außer Gebrauch,
weil es seinen Dienst, die Eindringlichmachung der Schrecken
des Gerichtstages, nicht mehr versehen konnte.
Vermutlich ist es also kein Zufall, daß es gerade altsächsi-
sche und altbayerische Gedichte sind, die das Wort mudspell(i),
muspilli gebrauchen. Denn in Nord- und Ostdeutschland hat
das Christentum sich später und langsamer durchgesetzt als da,
wo die Germanen auf römischem Kulturboden saßen, in den
1 Der Anklang von Grist 984: feered sefter foldan fyrswearta leg an den
'Musp.’-Vers verit mid diu vuiru und an anord. *ferr med fyri (oben S. 26)
kann allein nicht viel bedeuten.
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