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Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.
Muspellz den Gedanken an die Person unklar lebendig hält (so
daß Snorri von dem Schilfe schreibt: pat ä Muspell), so bei dem
sächsischen Dichter die Verbindung Mudspelles megin nebst dem
Verbum ferid, dem übrigens ein isländisches ferr oder koma mim
entsprochen haben wird.
111.
Die von jeher strittigste Frage der germanischen Altertums-
kunde bezieht sich auf die Scheidung des 'Heidnischen5 und des
'Christlichen5 in den aus germanischer Frühzeit überlieferten
Erzählungsstoffen übernatürlichen Charakters — wobei wir unter
'christlich5 das verstehen, was erst durch die Mission der Kirche
den Germanen bekannt oder bei ihnen möglich geworden ist,
unter 'heidnisch5 das, was schon vorher ihnen bekannt war. Die
Schwierigkeit jener Scheidung beruht zu einem sehr großen Teil
darauf, daß das in diesem Sinne Heidnische dem Christlichen
zuweilen auffallend ähnlich sieht und daher mit ihm verwechselt
worden ist. Baldr ähnelt Christus, und die weinende Frigg ähnelt
der Maria; und doch ist die Baldrsage in allem Wesentlichen
heidnisch. Der gefesselte Loki ähnelt dem gefesselten Satan, der
seit dem Nikodemus-Evangelium christlicher Überlieferung ge-
läufig ist, stammt aber nichtsdestoweniger aus heidnischer Quelle1.
So ähneln andere Ragnarökmythen dem christlichen Vorstellungs-
kreis vom Weltgericht, und doch sind auch sie heidnisch. Die
Ähnlichkeiten erklären sich aus vorgeschichtlichen Religions-
und Sagenwanderungen.
Ich glaube diesen Satz zum erstenmal auszusprechen. Aber
man darf wohl sagen, daß er seit einiger Zeit in der Luft liegt.
Es ist das Verdienst einerseits der Archäologen — u. a. derjenigen,
die das germanische Kunsthandwerk der Völkerwanderung be-
arbeiteten —, anderseits der vergleichenden Sagenforscher, nament-
lich Olriics, einwandfrei gezeigt zu haben, daß die Germanen
auch schon in vorgeschichtlicher Zeit mancherlei Kulturgüter
von außen, zumal von Südosten her empfingen, die sie dann viel-
fach eigenartig umgebildet und sich assimiliert haben. Diese Ein-
sichten können m. E. für die frühgermanische Religions- und
Dichtungsgeschichte noch ganz anders fruchtbar gemacht werden,
1 Dies hat Olrik, der im ersten Bande (1902) den Ragnarök-Loki
noch für den entlehnten Satan hielt, im Anschluß an v. d. Leyen und
K. Krohn endgültig nachgewiesen im zweiten Bande (1914).
Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.
Muspellz den Gedanken an die Person unklar lebendig hält (so
daß Snorri von dem Schilfe schreibt: pat ä Muspell), so bei dem
sächsischen Dichter die Verbindung Mudspelles megin nebst dem
Verbum ferid, dem übrigens ein isländisches ferr oder koma mim
entsprochen haben wird.
111.
Die von jeher strittigste Frage der germanischen Altertums-
kunde bezieht sich auf die Scheidung des 'Heidnischen5 und des
'Christlichen5 in den aus germanischer Frühzeit überlieferten
Erzählungsstoffen übernatürlichen Charakters — wobei wir unter
'christlich5 das verstehen, was erst durch die Mission der Kirche
den Germanen bekannt oder bei ihnen möglich geworden ist,
unter 'heidnisch5 das, was schon vorher ihnen bekannt war. Die
Schwierigkeit jener Scheidung beruht zu einem sehr großen Teil
darauf, daß das in diesem Sinne Heidnische dem Christlichen
zuweilen auffallend ähnlich sieht und daher mit ihm verwechselt
worden ist. Baldr ähnelt Christus, und die weinende Frigg ähnelt
der Maria; und doch ist die Baldrsage in allem Wesentlichen
heidnisch. Der gefesselte Loki ähnelt dem gefesselten Satan, der
seit dem Nikodemus-Evangelium christlicher Überlieferung ge-
läufig ist, stammt aber nichtsdestoweniger aus heidnischer Quelle1.
So ähneln andere Ragnarökmythen dem christlichen Vorstellungs-
kreis vom Weltgericht, und doch sind auch sie heidnisch. Die
Ähnlichkeiten erklären sich aus vorgeschichtlichen Religions-
und Sagenwanderungen.
Ich glaube diesen Satz zum erstenmal auszusprechen. Aber
man darf wohl sagen, daß er seit einiger Zeit in der Luft liegt.
Es ist das Verdienst einerseits der Archäologen — u. a. derjenigen,
die das germanische Kunsthandwerk der Völkerwanderung be-
arbeiteten —, anderseits der vergleichenden Sagenforscher, nament-
lich Olriics, einwandfrei gezeigt zu haben, daß die Germanen
auch schon in vorgeschichtlicher Zeit mancherlei Kulturgüter
von außen, zumal von Südosten her empfingen, die sie dann viel-
fach eigenartig umgebildet und sich assimiliert haben. Diese Ein-
sichten können m. E. für die frühgermanische Religions- und
Dichtungsgeschichte noch ganz anders fruchtbar gemacht werden,
1 Dies hat Olrik, der im ersten Bande (1902) den Ragnarök-Loki
noch für den entlehnten Satan hielt, im Anschluß an v. d. Leyen und
K. Krohn endgültig nachgewiesen im zweiten Bande (1914).