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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0045
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Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.

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Gedanken an die Fenris kindir, die Wolfsbrut, von Strophe 40
nahelegt, und ihre Bezeichnung als fifls megir ebendort: fifl be-
deutet ein ungeheuerliches Wesen, eine Mißgeburt, ein Monstrum1,
also etwa dasselbe, was 'Riese’ bedeuten kann: die Riesen sind
grotesk häßlich, oft tierköpfig oder tiergestaltig. So zeigt der baby-
lonische Flügelkentaur zwei Köpfe, einen menschlichen und einen
Tierkopf. Nur das Feuer scheint diesen Luftkentauren zu fehlen.
Dies aber liefert uns die folgende Vision. 'Und der sechste
Engel posaunete. Und ich hörete eine Stimme aus den vier Ecken
des güldenen Altars vor Gott, die sprach zu dem sechsten Engel,
der die Posaune hatte: Löse auf die vier Engel, gebunden an dem
großen Wasserstrom Euphrates. Und es wurden die vier Engel los;
die bereit waren auf eine Stunde und auf einen Tag und auf einen
Monden und auf ein Jahr, daß sie töteten das dritte Teil der Men-
schen. Und die Zahl des reisigen Zeuges war viel tausendmal
tausend; und ich hörete ihre Zahl. Und also sähe ich die Rosse
im Gesichte, und die drauf saßen, daß sie hatten feurige und gelbe
und schwefelichte Panzer; und die Häupter der Rosse wie die
Häupter der Löwen, und aus ihrem Munde ging Feuer und Rauch
und Schwefel. Von diesen dreien ward ertötet das dritte Teil
der Menschen, von dem Feuer und Rauch und Schwefel, der aus
ihrem Munde ging. Denn ihre Macht war in ihrem Munde, und
ihre Schwänze waren den Schlangen gleich, und hatten Häupter,
und mit dcnselbigcn taten sie Schaden’. Daß diese Vorstellungs-
gruppe Beziehungen zu Germanien hat, zeigen die Schlangen-
schwänze der Rosse, denn die Schlangenzäume der nordischen
Riesinnen in der Baldrsage, in Helgakviöa Hiörvarzsonar und auf
dem Stein von Hunestad sind eine Variante davon, die schon
bei einem Rabbi Jehudah im 3. Jahrhundert vorkommt2. Das-
1 Cleasby-Vigfusson übersetzen fiflmegir richtig mit 'monster-men,
fiends’. Mülleniioffs Deutung als die 'tollen5 D. Ak. 5, 150 ist aus anord.
fifl 'Tor, Verrückter5 mit Unrecht gefolgert, augenscheinlich weil unser 'toll5
die Bedeutungen 'wild5 und 'geistesgestört5 vereinigt; anord. fifl bezeichnet
aber m. W. niemals den Wilden oder Rasenden, sondern im Gegenteil gern
den, der durch Nichtstun und menschenscheues, sonderbares Wesen auf-
fällt. Diese anord. Bedeutung kann nicht ursprünglicher sein als die ags.
'Riese, Ungeheuer5, weil diese aus ihr kaum abzuleiten wäre, und weil die
Bedeutung 'riesenhaft, ungeheuerlich5 auch an anord. fwibul(vetr) haftet.
Die beste Definition der Grundbedeutung ist vielleicht 'abnorm5. Auch das
Mädchen, das zum fifl gemacht wurde, ist 'abnorm5 — und zugleich ein
Gegenstand der Geringschätzung wie fifl, der Narr.
2 Bugge, Studien S. 231 f.
 
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