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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0032
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Rudolf Pagenstecher:

Zu der ersten Gruppe gehören alle diejenigen Darstellungen,
auf denen die Landschaft die beherrschende Stellung einnimmt,
und die Figuren sich in solcher Weise ein- und unterordnen, daß
der Charakter der Landschaft als solcher stets gewahrt bleibt und
die menschlichen Gestalten nur als deren Belebung und Ergänzung
erscheinen. Diese Gruppe ist die SiEVEKiNGsche „Gipsgruppe“.
Die zweite Gruppe stellt durchaus den Menschen in den Vorder-
grund. Er wird umrahmt durch landschaftliche Elemente,
welche lediglich bestimmt sind, die von ihm ausgeführte Aktion
zu deuten, deren Schauplatz zu bezeichnen oder den sonst zu ein-
förmigen Hintergrund zu beleben55. Diese Reliefs sind nach
Sieveking in reinem Marmorstil ausgeführt.
Die Reliefs der zweiten Gattung zeigen im Wesentlichen
mythologischen Inhalt, beschäftigen sich mit den Aben-
teuern der Götter und ihrer Söhne, bringen Erzählungen aus der
Heldensage, sind stets in eine höhere Sphäre gehoben, welche in
irgend einer Weise an die längst vergangenen Zeiten erinnert, in
welchen der Glaube an die Götter noch tief im Gefühl der Mensch-
heit wurzelte und die Beschäftigung mit ihnen und ihren Taten
die vornehmste Aufgabe der Kunst gewesen war, an Zeiten, in
welchen man sich gewöhnt hatte, die großen Erfolge der eigenen
Epoche unter dem Bilde der Heroenzeit sich selbst und der Nach-
welt vor Augen zu führen. Stilistisch wurzeln sie ebenfalls fest in
der vorhellenistischen Epoche.
Die Reliefs der ersten Gattung dagegen knüpfen nicht an Ver-
gangenes an. Sie stellen sich auf den Boden einer neuen Wirklichkeit.
Die Götter sind verblaßt; kaum daß der größten Göttin dieser
Zeit und ihrer Kunst, der Aphrodite, gedacht wird. Das Leben
des Menschen in der freien Natur, das Leben der Landleute und
der Hirten wird Gegenstand der Darstellung. Ja, es kann auf
den Menschen selbst verzichtet werden. Zum erstenmal in der
Geschichte der Kunst wird die Natur um ihrer eigenen Schönheit
willen geschildert. Auf jenen Platten, welche die säugende Löwin
und das Schaf uns vorstellen, umgibt nichts als die freie Natur
das Familienleben der Tiere56. Allerdings ist es „nicht die stolze
55 Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik II S. 358 kommt
durch Scheidung der Reliefbilder nach Größe und Format zu denselben zwei
Gruppen. Ebenso unterscheidet Schreiber Kabinett- und Prachtreliefs.
Man wird ein auf drei verschiedenen Wegen erreichtes Resultat beachten
müssen.
56 Schreiber, Die Wiener Brunnenreliefs Tafel I—III.
 
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