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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 11. Abhandlung): Der Kommunismus der Wiedertaeufer in Muenster und seine Quellen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37688#0046
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Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen. 45

Gemeinden zu bilden, die nur nach dem „Gesetz Gottes“, nach
den Satzungen der Bergpredigt, nach dem „göttlichen Recht“
lebten und die Tendenz von daher überkamen, dazu auch den
Kommunismus zu rechnen. Im taboritischen Hussitentum, bei
dem aber noch andere Momente wirksam waren (s. u.), geschah
das zuerst. Seitdem hörte der Ruf, nach dem göttlichen Recht
zu reformieren, nicht mehr auf. Als dann die Reformation Luthers
den kirchlichen Rahmen völlig zerbrach, war zwar durch ihn
ein neues Verständnis des Evangeliums so tief herausgehoben, daß
da, wo dies Verständnis unmittelbar und rein maßgebend wurde,
das Muster von Act. 4 samt Urstandkommunismus und göttlichem
Recht1 verschwand — aber in den Kreisen, da man sich vom
Gesetzlich-Asketischen nicht ganz lösen konnte, bildeten sich nun
solche kommunistische Gemeinschaften, wie die der Täufer sie
darstellten. In ihnen wurde das Abendmahl, das auch für sie auf-
gehört hatte Messe zu sein, der Mittelpunkt dieses Liebeskom-
munismus, eine Syssitie als Rest einer alten gottgewollten Gemein-
schaft, als Zeichen eines immer neuen ewigen Liebesbundes mit
Gott und den Brüdern. Sie fanden einen Nährboden in den ober-
deutschen und schweizerischen Gegenden, in denen die evangelische
Gemeindebildung noch unter anderen als Wittenberger Einflüssen
gestanden hatte und der demokratische Gemeinschaftsgedanke
überhaupt lebendiger war. Man konnte glauben sich auf Bullinger
beziehen zu dürfen. So tritt uns das Bild bei Sebastian Franck
entgegen, der auf Grund von Bullinger doch etwas tatsächlich
ganz anderes giebt2.
2. In denselben Jahrhunderten, da sich der Kreis derer
erweiterte, auf die die kommunistischen Gedanken einen Reiz
ausübten, wirkten antike Einflüsse vor- und nebenchristlicher
Frömmigkeit von neuem, teilweise unmittelbar, aus den alten leben-
dig gewordenen Quellen auf diesen breiteren Kreis in gleicher Rich-
tung verstärkend ein.
1 Über die erneute Gleichung von lex naturae und lex divina, in der
„das ausgehende Altertum seinen letzten Ertrag platonischer, aristotelischer
und besonders stoischer Ideen zu einer religiös gerichteten Vernunftsittlich-
keit vereinigt“, durch Melanchthon s. Tröltsch, Vernunft und Offenb. bei
Joh. Gerhard u. Mel. S. 172. Zu Luther vgl. u. a. Weirn. Ausg. 16, 243.
2 Daraus erklärt sich vielleicht, daß Bullinger sich bald darauf 1534
in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte S. 55a veranlaßt sah, einen
deutlichen Strich zwischen seiner und der läuferischen Auslegung zu ziehen.
 
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