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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 12. Abhandlung): Das Mandäische Buch des Herrn der Größe und die Evangelienüberlieferung — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37689#0071
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Das mandäische Buch des Herrn der Größe.

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der Johannessekte letzterem näher treten; was zu Anfang als
Verleumdung erschienen war, mochte nun als unsicher oder als
halbe Wahrheit erscheinen. Schon hiernach wäre ferner klar, wie ein
Teil der Johannesjünger später den Weg zum Christentum finden
mußte. Beachtenswert scheint mir dabei, daß gerade dem Paulus
diese Bekehrung zugeschrieben wird. Für den anderen Teil frei-
lich mußte die Tatsache entscheidend sein, daß Jesus selbst die
Taufe des Johannes genommen hatte, also Nasoräer geworden
war. Er mußte ihnen als der Abtrünnige erscheinen, der eigent-
liche Widersacher, dem glühender Haß nun die Rolle des Anti-
christ gab. Das Schlagwort „Er verdrehte die eine Rede“ muß
damals schon entstanden sein; es erhielt bei den späteren Berüh-
rungen der Christen mit den Mandäern nur immer neue Nahrung.
Prüfen wir, ehe wir weitergehen, noch die andere Erklärung
für die überraschende Übereinstimmung der Grundanschauungen
dieser mandäischen Schrift mit der frühchristlichen Literatur.
Ist es vielleicht möglich, daß jenes Urmandäertum selbst vom
Christentum ausgeht und als christlich-gnostische Sekte zu be-
trachten ist ? An der Datierung der Apokalypse müßten wir
dabei festhalten; der Spielraum für sie bleibt auf jeden Fall nur
gering; ihren Zusammenhang mit den Johannesjüngern müßten
wir aufgeben; aber der Beweis für ihn ist bisher auch schwach.
Setzen wir also den Fall, daß trotz aller der dagegen sprechenden
Gründe, die Evangelienquelle Q doch älter sei und in der man-
däischen Apokalypse benutzt und nachgebildet sei. Absichtlich
wäre, was jene von Jesus erzählt, in dieser auf den „Menschen“
übertragen, Jesus selbst aber leidenschaftlich angegriffen. Voraus-
liegen müßte also eine bewußte Abkehr vom Christentum, für die
ein Grund freilich nicht erkennbar wäre. Um Judenchristen könnte
es sich dabei nicht handeln, da ja Jesus als der Vollender des
Judentums bekämpft wird. Könnten Heidenchristen (sXXyjvt^ov-
Tsq), die etwa zunächst in der Gemeinde in Opposition zu einem
gesetzestreuen Judenchristentum gestanden hätten, zu diesem
Schritt gedrängt worden sein ? Daß sie so fühlbar von den jüdi-
schen Messiaserwartungen und der jüdischen Prophetie aus-
gehen, wäre gewiß befremdlich, ließe sich aber vielleicht verstehen.
Aber der Versuch, die von Jesajas geweissagten und von den
Christen von Jesus berichteten Wunder für eine unsichtbare
Gottesmacht in Anspruch zu nehmen, Jesus selbst aber als den
Dämon darzustellen, wäre psychologisch unbegreiflich und religions-
 
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