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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0033
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

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Formen sind neue Bewegungsantriebe gegeben. Es wäre1 zu er-
warten, daß diese zu räumlicher Sonderung führten in der Weise,
daß die gleichgestalteten und demzufolge gleichartig sich bewegen-
den Körper an denselben Orten sich zusammenfinden. Bei der
Kugelgestalt, die die Welt von ihrem Baumeister erhalten hat,
läßt sich das kaum anders vorstellen, als daß das eine der vier
Elemente sich in der Mitte zusammenballte, die anderen aber,
um diesen Kern gelagert, teils an seinen Grenzen, teils von ihm
durch eine andersartige Zwischenlage getrennt konzentrische
Kugelschalen auszufüllen streben; und die Bewegungsrichtung
wird deshalb teils nach der Mitte oder dem Baum der inneren
Kugel hingehen, teils umgekehrt aus diesem Raum heraus nach
den äußeren Kugelschalen. Wo aber ungleich Gestaltetes zur Be-
rührung kommt, wird2 eine Ausgleichung der Unterschiede be-
ginnen dadurch, daß die größere Masse die kleinere sich anähnlicht.
Soweit das überhaupt möglich ist, müßte es schließlich auch wirk-
lich werden und damit träte der Zustand starrer Bewegungs-
losigkeit ein. Aber das verhindert die Wucht des Umschwungs,
in den das All bei seiner Gestaltung von seinem Baumeister ver-
setzt worden ist. Dadurch werden seine einzelnen Bestandteile
gleichsam mit einer Tangentialkraft ausgestattet, die zu ihrer
,,Schwere“, d. h. zu jenen durch ihre Form und Größe bedingten
zentripetalen oder zentrifugalen Bewegungsantrieben hinzu-
kommt. Das Zusammen- oder Gegeneinanderwirken der Schwere
und der Tangentialkraft erhält die Bewegung in endloser Mannig-
faltigkeit und unbegrenzter Dauer.
In verbreiteten Darstellungen der platonischen Philosophie
begegnen wir der Auffassung, Platon habe den Raum der Stoff-
lichkeit gleichgesetzt und seine Grundgestalten oder Elemente
durch bloße Abgrenzung leeren Raumes entstehen lassen. Zum
Beweis wird einmal auf die Sätze verwiesen3, in denen die „dritte
Gattung des Wirklichkeitsbestandes“, die von dem ewig unver-
änderlich beharrenden Sein und den im Werden sich Entwickelnden
unterschieden wird, gekennzeichnet und als „Gattung des Raums“
(το τής χώρας 52a) bezeichnet ist; namentlich aber auch auf die
Beschreibung der Umwandlung eines Körpers in einen anderen,
die in der Tat so lautet, als ob dieselbe sich durch Auflösung nicht
1 Wie wir schon gesehen haben, vgl. S. 5 u. 9.
2 Vgl. S. 25.
3 Tim. 48 c ff.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1919. 19. Abh.

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