Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.
59
oder aber die Erde aus der Mitte der Welt herausgerückt wurde
und zu ihrer Achsendrehung noch eine Revolutionsbewegung er-
hielt, in der sie die an jene bevorzugte Stelle versetzte Sonne
umkreist. Ein dritter Schüler Platons, der Herausgeber seines
Nachlasses, dem er in den letzten Lebensjahren besonders nahe
gestanden sein muß, scheint wenigstens gleichfalls die Lehre anzu-
deuten, daß die Bewegung der Erde die wahre Ursache der nur
scheinbaren Bewegung des Himmels sei.
Waren einmal die beiden Gedanken an eine Bewegung der
anfangs unbeweglich gedachten Erde und an Versetzung derselben
aus der Zentralstellung in den Weltraum hinaus gefaßt — wir
haben gesehen: schon Platon selber erwog sie — und war dazu
noch ein Teil der Planeten, die von den Alten doch mit ähnlicher
Ehrfurcht wie die Erde selber betrachtet wurden, als Trabanten
der Sonne aufgefaßt, so mußte die philosophische Theorie, deren
Aufgabe es (nach Parm. 136a ff.) ist, alle logischen Möglichkeiten
zu erschöpfen und durch Aufsuchen ihrer letzten Konsequenzen
zu prüfen, es auch damit versuchen, wie es denn wäre, wenn man
sämtliche Planeten als die Sonne umkreisend annehmen wollte,
und ob man nicht schließlich auch die Erde als Sonnentrabanten
behandeln dürfe. Es ist gar nicht nötig anzunehmen, daß erst
neue Beobachtungen von Himmelserscheinungen hätten gemacht
werden müssen, um eine neue Theorie hervorzurufen: umgekehrt
kann die Prüfung der neuen Theorie zu schärferen Einzelbeobach-
tungen und neuen Entdeckungen Anlaß gegeben haben.
Abschließend1 dürfen wir sagen: nicht bloß Herakleides, dessen
Verdienste nachher für lange Jahrhunderte verdunkelt worden
sind, hat sich als einen ,,Naturforscher im modernsten Sinne des
Wortes“, als ,,den glücklichsten Forscher auf dem ganzen Gebiet
der Astronomie“, ,,einen der größten und konsequentesten Denker
aller Zeiten“2 bewährt, sondern auch Platon ist als einer der kühn-
sten Bahnbrecher auf diesem Gebiete anzuerkenneu, einer der
größten Vorläufer des Kopernikus. Wir wollen auch nicht
übersehen, daß Kopernikus selber sich des engen Zusammenhangs
seiner Gedanken mit denen der alten hellenischen Astronomen
klar bewußt war. Der Widmungsbrief seines Werkes de revolutioni-
1 Weiteres s. in meinem Kommentar zu Platons Gesetzen S. 228—250
und den mehrfach angezogenen Schriften Schiaparellis und Staigmüllers.
2 So nennt ihn Staigmüller a. a. O. S. 35 und Archiv f. Gesch. d. Philos.
1902, S. 165 bzw. Sciiiaparelli S. 68 A.
59
oder aber die Erde aus der Mitte der Welt herausgerückt wurde
und zu ihrer Achsendrehung noch eine Revolutionsbewegung er-
hielt, in der sie die an jene bevorzugte Stelle versetzte Sonne
umkreist. Ein dritter Schüler Platons, der Herausgeber seines
Nachlasses, dem er in den letzten Lebensjahren besonders nahe
gestanden sein muß, scheint wenigstens gleichfalls die Lehre anzu-
deuten, daß die Bewegung der Erde die wahre Ursache der nur
scheinbaren Bewegung des Himmels sei.
Waren einmal die beiden Gedanken an eine Bewegung der
anfangs unbeweglich gedachten Erde und an Versetzung derselben
aus der Zentralstellung in den Weltraum hinaus gefaßt — wir
haben gesehen: schon Platon selber erwog sie — und war dazu
noch ein Teil der Planeten, die von den Alten doch mit ähnlicher
Ehrfurcht wie die Erde selber betrachtet wurden, als Trabanten
der Sonne aufgefaßt, so mußte die philosophische Theorie, deren
Aufgabe es (nach Parm. 136a ff.) ist, alle logischen Möglichkeiten
zu erschöpfen und durch Aufsuchen ihrer letzten Konsequenzen
zu prüfen, es auch damit versuchen, wie es denn wäre, wenn man
sämtliche Planeten als die Sonne umkreisend annehmen wollte,
und ob man nicht schließlich auch die Erde als Sonnentrabanten
behandeln dürfe. Es ist gar nicht nötig anzunehmen, daß erst
neue Beobachtungen von Himmelserscheinungen hätten gemacht
werden müssen, um eine neue Theorie hervorzurufen: umgekehrt
kann die Prüfung der neuen Theorie zu schärferen Einzelbeobach-
tungen und neuen Entdeckungen Anlaß gegeben haben.
Abschließend1 dürfen wir sagen: nicht bloß Herakleides, dessen
Verdienste nachher für lange Jahrhunderte verdunkelt worden
sind, hat sich als einen ,,Naturforscher im modernsten Sinne des
Wortes“, als ,,den glücklichsten Forscher auf dem ganzen Gebiet
der Astronomie“, ,,einen der größten und konsequentesten Denker
aller Zeiten“2 bewährt, sondern auch Platon ist als einer der kühn-
sten Bahnbrecher auf diesem Gebiete anzuerkenneu, einer der
größten Vorläufer des Kopernikus. Wir wollen auch nicht
übersehen, daß Kopernikus selber sich des engen Zusammenhangs
seiner Gedanken mit denen der alten hellenischen Astronomen
klar bewußt war. Der Widmungsbrief seines Werkes de revolutioni-
1 Weiteres s. in meinem Kommentar zu Platons Gesetzen S. 228—250
und den mehrfach angezogenen Schriften Schiaparellis und Staigmüllers.
2 So nennt ihn Staigmüller a. a. O. S. 35 und Archiv f. Gesch. d. Philos.
1902, S. 165 bzw. Sciiiaparelli S. 68 A.