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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0082
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82

Con st an τίΝ Ritter:

ist seine Stellung zur Forschung kaum verschieden
von der, die Newton einnahm, indem er in seinen berühm-
ten Philosophiae naturalis principia1 z. B. folgende Erklärung abgab:
,,Bie absolute wahre und mathematische Zeit, die an sich und ihrer
eigenen Natur nach keine Beziehung auf irgend etwas Äußeres hat,
fließt gleichmäßig dahin und heißt mit anderem Namen Dauer.
Relative, zur Erscheinung kommende und gemeine Zeit ist jede
sinnlich wahrnehmbare und äußerlich durch eine Bewegung (sei es
genau oder mangelhaft) bestimmte Abmessung einer Dauer, die
gemeinhin für die wahre Zeit gilt; z. B. Stunde, Tag, Monat, Jahr.“
Und nachher: „Die natürlichen Tage sind ungleich. Dieser Ungleich-
heit helfen die Astronomen nach, um die himmlischen Bewegungen
mit wahrerem Zeitmaß zu messen. Möglicherweise gibt es gar
keine gleichmäßige Bewegung, an der die Zeit genau gemessen
werden könnte. Alle Bewegungen können sich beschleunigen oder
verlangsamen, aber der Ablauf der absoluten Zeit kann sich nicht
ändern. Die Dauer der Dinge ist'dieselbe, mögen dabei Bewegungen
rasch oder langsam oder gar nicht stattfinden.“2 Die „wahre“
überhaupt nicht auf dies Ziel gerichtet wäre, dann allerdings wäre zu besorgen,
daß sie sich in Nachforschungen verlöre, die überhaupt keinen wissenschaft-
lichen, also auch keinen verstandbildenden Wert mehr hätten. Man kann
nicht sagen, daß das eine unnütze Warnung sei. Sie ist es sogar heute nicht.“
1 Defin. 8, scholium.
2 Rosenberger, Gesch. d. Phys. II, S. 187, macht die Bemerkung, die
Theorie der Himmelsbewegungen sei überhaupt nicht sowohl eine Aufgabe
der physikalischen Astronomie, als vielmehr der theoretischen Mechanik, und
rechnet es Borelli zum besonderen Verdienst, daß er das eingesehen habe.
Eben diese Einsicht bekundet Platon. Und, wie wir aus Met. III, 2, 33 (XI,
1, 13) ersehen, Aristoteles hat sie von ihm übernommen. Auch Timerding
schein-t die von anderen Beurteilern so stark angefochtenen Sätze Platons,
in denen die „wirkliche Schnelligkeit“ der Bewegung von der durch Beobach-
tung festzustellenden unterschieden wird, zu billigen. Er schreibt in einem
Aufsatz über die Verbreitung mathematischen Wissens und mathematischer
Anschauung (Kultur d. Gegenw. III A, S. 70): „Der Begriff einer mathema-
tischen Physik im heutigen Sinn ist schon zu Platons Zeit merkwürdig deut-
lich ausgeprägt. Die Bewegungslehre fällt mit der Astronomie durchaus
zusammen, die Bewegung der Gestirne liefert überhaupt erst den Begriff
der Bewegung, so wie er hier gefaßt wird. Die Gestirne bilden das Beste und
Vollkommenste, was es im Bereiche des Wahrnehmbaren gibt, aber bleiben
doch hinter dem wahrhaftigen Sein weit zurück. Diesem wahren Sein kommt
man näher, wenn man die Bewegung rein an sich, nach dem wahrhaften Maße
ihrer Geschwindigkeit und Langsamkeit betrachtet, genau wie es die moderne
Kinematik tut ... “
 
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