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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0083
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft. 83
und mathematische Zeit im Unterschied von der zur Erscheinung
kommenden gemeinen: ist das nicht ganz dieselbe Auffassung,
wie die, der Platon mit Entgegensetzung der ,,wahren“ Zahlen-
verhältnisse und Bahnen, der ,,wirklichen“ Langsamkeit und
Schnelligkeit zu den an den Himmelserscheinungen beobachteten
Ausdruck gibt ? Ich glaube, die Bemängelung Platons durch
Aristoteles, Zeller und die meisten neueren Beurteiler habe haupt-
sächlich den Grund, daß diese Gelehrten zu wenig von Mathematik
und Physik verstanden, um seinen Entwicklungen folgen zu können,
und daß sie sich keine klare Rechenschaft darüber gaben, was es
denn mit allen Theorien, die das Wesen einer Naturerscheinung
beschreiben und den Einzelvorgang aus „Gesetzen“ erklären
wollen, für eine Bewandtnis hat. In jedem ordentlichen Hand-
buch der Physik kann man z. B. lesen, daß das Mariottesche
Gesetz nur annähernd richtig sei. Übrigens hat Mariotte auch
nur behauptet, daß der Druck eines „vollkommenen“ Gases
seinem Volumen umgekehrt proportional sei. Wo das nicht genau
stimmt, haben wir es nach seiner Meinung eben nicht mit voll-
kommenen Gasen, sondern mit Übergangszuständen zu tun. Und
es wird in keinem Einzelfall alles ganz genau stimmen; das „hier“
und „jetzt“ wird sich, wie Platon sagt, nie fehlerlos anwenden
lassen. Ähnlich mag man die Form des Wassers, der Luft, und
anderer „Elemente“ wohl ganz genau beschreiben und damit ein
Gesetz ihrer Bildung aufstellen: dieses gilt eben für die voll-
kommenen Dinge; wo Übergänge stattfinden, wo sie in Umbildung
begriffen sind, was bei der Veränderlichkeit aller sinnlichen Dinge
stets der Fall ist, d. h. also in allen wirklich zur Beobachtung
kommenden Fällen wird man das Gesetz nur „annähernd“ bestätigt
finden. Ganz in Übereinstimmung damit hat auch Ivant erklärt,
„daß sich schwerlich reine Erde, reines Wasser, reine Luft u. dgl.
findet; doch man hat die Begriffe davon nötig, die also was die
völlige Reinheit betrifft, nur in der Vernunft ihren Ursprung
haben.“ — Freilich die Leute, denen Aristoteles und Zeller
Autorität sind, wiederholen unermüdlich und unbelehrbar, daß
Platon sich idealistischen Träumereien hingegeben habe, daß er
ganz überflüssigerweise, ohne damit irgend etwas zur Erklärung
der rätselhaften Wirklichkeit beizutragen, diese verdoppelt und
neben den in der Sinnenwelt sich abspielenden Einzelvorgängen,
die er mit Fehlern behaftet fand, eine fehlerlose reine Idee als
wirklich postuliert und „hvpostasiert“ habe.

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