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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0105
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

105

Verwahrung, die oft gegen teleologische Betrachtung eingelegt
worden ist, immer jener anderen, jener eigentlichen Teleologie
gilt, die uns aus der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte ent-
gegentritt und die Platon anwendet, indem er fragt: was sind die
Gedanken, die Gott gehabt hat, als er die Dinge entstehen ließ,
deren Erklärung wir suchen ? — einer Teleologie, die aufs engste
mit der Theologie zusammenhängt und bei der wohl auch immer
(wie besonders deutlich bei der platonischen) die Ästhetik mit-
beteiligt ist.
Bei der kosmogonischen Theorie Kants haben wir von dieser
eigentlichen Teleologie nichts gefunden, während sie gewiß in
jenem abgeblaßten übertragenen Sinn auch teleologisch ist. Aber
an anderen Stellen kommt auch bei Kant die eigentliche Teleologie
zutage und behauptet sogar einen hervorragenden Platz. Davon
will ich hier nicht weiter reden.
Es ist eine Frage für sich, auf die ich hier ebenfalls nicht ein-
gehen will, ob die Ablehnung jener eigentlichen Teleologie für die
naturwissenschaftliche Forschung einen Vorteil bedeutet; ob das
Geistige sich ohne Teleologie auch nur deutlich und verständlich
schildern, geschweige denn begreifen läßt; ob nicht jeder Versuch,
es aus dem Ungeistigen hervorgehen zu lassen oder als eine Funk-
tion desselben darzustellen, an irgend welcher unbeachteten Stelle
zur Einschmuggelung von Wirklichkeitsbestandteilen führt, deren
Anerkennung öffentlich abgeleugnet wird, so daß das offene Be-
kenntnis des Mystikers, daß er den ins Unendliche reichenden
letzten Gründen des Seins und Werdens als einem Rätsel gegen-
überstehe, vielleicht mehr Achtung vor dem Ernst der Wissen-
schaft in sich schließt, als das selbstsichere Zulänglichkeitsgefühl
seines Gegners; endlich ob es beim besten Willen auch nur über-
haupt möglich ist, auf Teleologie ganz zu verzichten, sobald man
es unternimmt, stoffliche Massen zu gliedern um entweder ihre
räumlichen oder ihre zeitlichen Verhältnisse beschreibend sich und
andern klar zu machen. Auslese halten, meine ich, können wir
nur auf Grund eines Werturteils* 1. Und nur nach seinem eigenen
zur Multiplikation . . . Hätten wir eine durchgängige Einsicht in den Kausal-
zusammenhang der Welt, so würden sich beide Betrachtungsweisen voll-
kommen decken.“
1 Und ohne Auslese einfach Stoff Zusammentragen, das ist sinnlose
Geschäftigkeit, aber nicht wissenschaftliche Arbeit. Das Sammelsurium, das
dadurch entsteht, sei’s aus dem Gebiet der Geschichte, sei’s aus dem der Natur,
ist nicht bloß traurig langweilig, sondern wohl auch völlig unbrauchbar.
 
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