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G. Weise:
Zeit gelang. Dem bekannten Bauriß von St. Gallen geht der hier
gewonnene Plan um rund 100 Jahre voraus und hat außerdem
noch den Vorzug für sich, daß es sich hier nicht um ein künstlich
ersonnenes Idealschema handelt1, sondern daß uns das Bild eines
Klosters, wie es zu einer bestimmten Zeit wirklich bestanden hat,
vorliegt. Mit den Gesamtdispositionen dieser Anlage werden wir
uns zum Schluß noch etwas näher zu beschäftigen haben.
Das Kloster Bretigny war auf der äußersten Spitze der von
dem jetzigen Dorf eingenommenen ebenen Besiedelungsfläche er-
richtet worden, die gen Osten und Norden in steilem Hang mehrere
Meter tief nach einem alten Oise-Arm abfiel. Den Gedanken an
künstliche Aufschüttung größerer Teile dieses Terrains verwehrte
die Tatsache, daß überall bei der Grabung schon nahe unter dem
heutigen Niveau gewachsenes Erdreich zutage trat. Nur am nord-
östlichen Eck der Klausur scheint der ursprünglichen Gelände-
gestaltung künstlich etwas nachgeholfen worden zu sein. Hier
wenigstens bestand der Boden bis in beträchtliche Tiefe aus auf-
geschüttetem Erdreich und ging auch die Fundamentsohle der
Mauern dementsprechend bis in größere Tiefe hinab.
Das Kloster hatte sich auf jungfräulichem Boden nieder-
gelassen. Nirgends wurden durch die Grabung Spuren irgend-
welcher älterer Besiedelung zutage gefördert. Die nach der Namens-
form wohl noch in römische Zeit zurückgehende Villa Brittania-
cum2, deren ehemalige Existenz wir aus dem Ortsnamen erschließen
dürfen, kann an der Stelle des späteren Klosters nicht gestanden
haben. Ebensowenig lag hier vordem ein fränkischer Königshof,
wie aus dem törichten Buche von Martin-Marville über die
Pfalzen3 zu folgern sein könnte. Der Situationsplan des Gelän-
des zwischen Kirche und „Schloß“, den letzterer seinem Buche
1 Wie wenig Beziehungen dieses zu den tatsächlich in karolingischer
Zeit in St. Gallen errichteten Baulichkeiten aufweist, lassen die Angaben
in dem kürzlich erschienenen Buch von Hardegger „Die alte Stiftskirche
und die ehemaligen Klostergebäude in St. Gallen“ mit aller Deutlichkeit
erkennen (vgl. meinen demnächst in der Hist. Zeitschr. erscheinenden Jahres-
bericht (1915—1917) zur Archäologie des früheren Mittelalters).
2 Ist der in der spätmittelalterlichen Hubertusvita niedergelegten
Legende des Heiligen einiges Vertrauen zu schenken, so könnte in ihr der
Wohnsitz seiner Eltern zu vermuten sein, der ja nicht allzu fern von dem
Kloster gelegen haben muß. Das Gelände des sog. „Schlosses“ wurde von
mir nicht auf ältere Besiedlungsspuren untersucht.
3 Martin-Marville, Essai sur les chateaux royaux, villas royales ou
palais du fisc des rois merovingiens et carolingiens (Amiens 1873).
G. Weise:
Zeit gelang. Dem bekannten Bauriß von St. Gallen geht der hier
gewonnene Plan um rund 100 Jahre voraus und hat außerdem
noch den Vorzug für sich, daß es sich hier nicht um ein künstlich
ersonnenes Idealschema handelt1, sondern daß uns das Bild eines
Klosters, wie es zu einer bestimmten Zeit wirklich bestanden hat,
vorliegt. Mit den Gesamtdispositionen dieser Anlage werden wir
uns zum Schluß noch etwas näher zu beschäftigen haben.
Das Kloster Bretigny war auf der äußersten Spitze der von
dem jetzigen Dorf eingenommenen ebenen Besiedelungsfläche er-
richtet worden, die gen Osten und Norden in steilem Hang mehrere
Meter tief nach einem alten Oise-Arm abfiel. Den Gedanken an
künstliche Aufschüttung größerer Teile dieses Terrains verwehrte
die Tatsache, daß überall bei der Grabung schon nahe unter dem
heutigen Niveau gewachsenes Erdreich zutage trat. Nur am nord-
östlichen Eck der Klausur scheint der ursprünglichen Gelände-
gestaltung künstlich etwas nachgeholfen worden zu sein. Hier
wenigstens bestand der Boden bis in beträchtliche Tiefe aus auf-
geschüttetem Erdreich und ging auch die Fundamentsohle der
Mauern dementsprechend bis in größere Tiefe hinab.
Das Kloster hatte sich auf jungfräulichem Boden nieder-
gelassen. Nirgends wurden durch die Grabung Spuren irgend-
welcher älterer Besiedelung zutage gefördert. Die nach der Namens-
form wohl noch in römische Zeit zurückgehende Villa Brittania-
cum2, deren ehemalige Existenz wir aus dem Ortsnamen erschließen
dürfen, kann an der Stelle des späteren Klosters nicht gestanden
haben. Ebensowenig lag hier vordem ein fränkischer Königshof,
wie aus dem törichten Buche von Martin-Marville über die
Pfalzen3 zu folgern sein könnte. Der Situationsplan des Gelän-
des zwischen Kirche und „Schloß“, den letzterer seinem Buche
1 Wie wenig Beziehungen dieses zu den tatsächlich in karolingischer
Zeit in St. Gallen errichteten Baulichkeiten aufweist, lassen die Angaben
in dem kürzlich erschienenen Buch von Hardegger „Die alte Stiftskirche
und die ehemaligen Klostergebäude in St. Gallen“ mit aller Deutlichkeit
erkennen (vgl. meinen demnächst in der Hist. Zeitschr. erscheinenden Jahres-
bericht (1915—1917) zur Archäologie des früheren Mittelalters).
2 Ist der in der spätmittelalterlichen Hubertusvita niedergelegten
Legende des Heiligen einiges Vertrauen zu schenken, so könnte in ihr der
Wohnsitz seiner Eltern zu vermuten sein, der ja nicht allzu fern von dem
Kloster gelegen haben muß. Das Gelände des sog. „Schlosses“ wurde von
mir nicht auf ältere Besiedlungsspuren untersucht.
3 Martin-Marville, Essai sur les chateaux royaux, villas royales ou
palais du fisc des rois merovingiens et carolingiens (Amiens 1873).