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Jacobs, Emil [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 24. Abhandlung): Untersuchungen zur Geschichte der Bibliothek im Serai zu Konstantinopel, 1 — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37730#0136
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Girardin und die Handschriften Mustafas.

Der Silahdar, der Schwertträger, premier officier du serail d. li.
der Erste der 39 Pagen der ersten oder innersten Kammer, als
solcher in der Tat zur allernächsten Umgebung der Majestät
gehörend1, et javori du Grand Seigneur, verschafft einem seiner
Bediensteten, einem italienischen Renegaten, der also wohl auch
zu einer der Pagenkammern gehörte, die Erlaubnis, die Bücher der
Bibliothek zu besichtigen und — dem französischen Botschafter
zugänglich zu machen. Und dieser Renegat läßt sie Girardin in
sein Haus bringen, wohlgemerkt — allmählich. Girardin trifft
seine Auswahl auf 16. Der Renegat behauptet, diese 16 seien ihm
geschenkt worden, verlangt eine hohe Summe dafür und beläßt
sie Girardin, bis man Handels einig geworden. Girardin drückt
ihn, der Renegat ist einverstanden und erhält seine 400 Livres. Die
übrigen Handschriften gehen Stück für Stück zu 100 Livres in
Konstantinopel zum Verkauf.
Daß es sich hier nicht um einen rechtmäßigen Vorgang handelt,
lehrt allein schon die Behauptung des Renegaten, die Handschriften
seien ihm geschenkt worden. Er also machte dies Geschäft, wohl
auch das mit den übrigen 185 Handschriften, und jedenfalls
nicht für den türkischen Hof, sondern für sich und allenfalls seine
Helfershelfer. Es kann keinem Zweifel unterliegen, und Girardin
wird stillschweigend selbst davon überzeugt gewesen sein: die Hand-
schriften waren — gestohlen! — Aber woher ? Aus dem Schatz-
hause ? Gewiß nicht! Wenn dort Durchstechereien zu allen Zeiten
mit nicht allzu wertvollen Objekten vorgekommen sind — Taver-
niers Gewährsmann beschreibt, wie man dabei, wohlweislich unter
Schonung der größten Kostbarkeiten, zu Werke ging2 —, so ist
doch die Entfernung eines so umfangreichen Objektes wie der
200 Handschriften ganz ausgeschlossen, denkt man nur an die
umständlichen Formalitäten, die bei der jedesmaligen Öffnung des
Schatzhauses vorzunehmen waren, ausgeschlossen auch bei all-
mählicher Entfernung, an die die allmähliche Zufuhr an Girardin
denken ließe. Zudem hätte der Silahdar, wenn er wirklich der
oberste Mittler gewesen sein soll, den Sachwalter des Schatzes,
der zur zweiten Kammer der Pagen gehörte3, als Helfer ins
Vertrauen ziehen müssen, womit sich der Lohn der Beute nur ver-
1 Vgl. Hammer, Geschichte des osmanisehen Reiches, Bd. 9, Pest 1833,
S. 42.
2 Tavernier a. a. O. Paris 1679 Chap. VIII, S. 472 f.
3 Hammer a. a. O. Bd. 9, S. 43.
 
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