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Cartellieri, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 6. Abhandlung): Charles Rogier — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37683#0026
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Otto Cartellieri:

Im „Retour a la maison“ (1869) hat Rogier die Freude des
Wiedersehens mit seinen Büchern beredten Ausdruck verliehen:
,,Les braves serviteurs! Les voici tous ranges
En ordre de bataille. A peine interroges,
Ils repondent: prdsents! Que demandez-vous maitre?
Des longtemps vous avez appris ä nous connaitre,
Le jour comme la nuit tout prets ä vous servir,
Nous ne demandons rien que de vous divertir.

Quel bonheur imprevu d’etre enfin reveilles
De ce triste sommeil oü notre poesie,
Nos trösors de Science et de ph.ilosoph.ie,
L’un sur l’autre entasses, attendaient dolemment
Le jour qui finirait leur emprisonnement.
Rogier kehrte in das stille Haus der rue Galilee in Sint-
Joost-ten-Noode zurück, das dem in „ruhmvoller Armut“
Lebenden dankbare Landsleute geschenkt hatten. Doch lange
hielt er es da nicht aus. Im hohen Alter trieb es ihn wieder
in die Öffentlichkeit. Durch seine Anwesenheit in einer end-
losen Kammersitzung verhinderte einmal der Vierundachtzig-
jährige den Sturz des liberalen Kabinetts. Er blieb auch
fürderhin die Stütze der Liberalen, keiner Neuerung abhold,
wenn sie dem Lande frommte und die Unabhängigkeit des
Staates nicht antastete. Er erkannte deutlich, daß das all-
gemeine Wahlrecht, das auch an die Pforten Belgiens damals
schüchtern anpochte, sich mit Naturgewalt in ganz Europa durch-
setzen würde. Daher bekämpfte er es nicht im Prinzip, wollte
seine Einführung nur verschoben wissen, bis die Stunde für Bel-
gien geschlagen hätte. Er befürwortete die Emanzipation der
Frau, wollte ihr den ärztlichen Beruf zugänglich machen und war
auch bereit, ihr das Wahlrecht zu verleihen. Stets suchte er unter
den Liberalen zwischen den „Alten“ und den „Jungen“ zu ver-
mitteln. Die Kandidatur des Stimmführers der Radikalen, Paul
Janson, im Jahre 1877 in Brüssel drohte neue Uneinigkeit zu
schaffen. Gar manche Liberale nahmen an dem Verkehr Anstoß,
den der feurige Volkstribun mit den Sozialisten der Internationale
unterhielt. Rogier wollte die glänzende Beredsamkeit in den Dienst
des Liberalismus stellen. Er trat für Janson ein, nicht weil, son-
dern obgleich er Republikaner war. Die Spaltung der Liberalen
war allerdings nicht aufzuhalten. Zu seinem Kummer mußte er
es noch erleben, daß sie im Jahre 1884 zu einem Siege der Katho-
liken führte.
 
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