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Otto Immisch:
Dabei ist aber noch ein besonderer Unterschied zu machen,
mit Quintilian (3, 8, 8). Dieser kennt neben principia longe a
materia clucta auch solche ex aliqua rei vicinia. Man wird natürlich
im Einzelfall die Frage nach dieser näheren Beziehung des Pro-
ömiums zum Stoff der folgenden Darstellung zu prüfen haben,
die bei Ephorus wie es scheint die Regel war. Wir tun es bei einem
von Laqueur nicht mit herangezogenen Schriftsteller, dessen
geschichtliche Werke wir zwar leider nicht haben, doch gehört
Agatharchides mit seinem erdkundlichen Buche über das
Rote-Meer-Gebiet natürlich in die gleiche literarische Linie hinein.
Nach dem Bericht des Photius (God. 250, 445b 37ff.) eröffnete
sein fünftes Buch ein sehr umfängliches Proömium dieser freien
epideiktischen Art, welches — einen bestimmten Adressaten an-
redend, 446 a 12 — scheinbar ganz losgelöst vom Inhalt des nach-
folgenden Buches eine artistische Einzelfrage erörtert, für Poesie
wie Prosa, und zwar die Frage nach der wirkungsvollsten Dar-
stellung schwersten menschlichen Unglücks, wir könnten auch
sagen: die kunstgerechte έλεεινολογία, oder: πώς τάς ύπερ-
βαλλούσας ένίοις άκληρίας τον έκτος των κινδύνων κείμενον1
πρέποντος έξαγγελτέον (445b 40). Das ist für das hellenistische
in Kunst und Literatur gleichmäßig hervortretende Streben nach
leidenschaftlicher und zugleich wirklichkeitstreuer Eindringlich-
keit eine sehr bezeichnende Fragestellung. Die Schlagworte dieser
nacharistotelischen Ästhetik, die darauf abhebt τούς αναγιγνώ-
σκοντας συμπαθείς ποιεΐν τοΐς λεγομένοις, sind έκπληξις und
ένάργεια; vgl. neben Leopoldis Dissertation de Agatharchide
Cnidio (Rostock 1892) 63ff. besonders Heinze, Virgils epische
Technik2 463ff.; Geigenmüller, Quaest. Dionys, de vocabulis
artis crit., Diss., Lips. 1908, 41; Scheller, De hellenistica hist,
conscr. arte, Diss. Lips. 1911, 57ff., neuerdings auch Kroll,
Sokr. 6 (1918) 81 ff. und Lillge ebd. 209 ff. und 279 ff.
Das Streben nach stärksten Eindrücken solcher Art ist aber
recht eigentlich ein Ausdruck des gesamten Lebensgefühles jener
Zeit. Auch hier einen einzelnen, den nachgerade zum Allerwelts-
1 Dieser aus Vermischung' mit den Konstruktionen von δει oder
χρή entstandene Akkusativ statt des Dativs gilt mit Unrecht für eine atti-
sche Besonderheit (Kühner-Gerth 1, 448). Bei Polybius stehen in 21 Fällen
zehn Akkusative neben elf Dativen, und zwar immer, wie hier auch, von
Partizipien (Hamilton Ford Allen, dass. Philol. 4, 1909, 55). Also nicht
etwa ein Attizismus des Agatharchides (oder gar: des Photius).
Otto Immisch:
Dabei ist aber noch ein besonderer Unterschied zu machen,
mit Quintilian (3, 8, 8). Dieser kennt neben principia longe a
materia clucta auch solche ex aliqua rei vicinia. Man wird natürlich
im Einzelfall die Frage nach dieser näheren Beziehung des Pro-
ömiums zum Stoff der folgenden Darstellung zu prüfen haben,
die bei Ephorus wie es scheint die Regel war. Wir tun es bei einem
von Laqueur nicht mit herangezogenen Schriftsteller, dessen
geschichtliche Werke wir zwar leider nicht haben, doch gehört
Agatharchides mit seinem erdkundlichen Buche über das
Rote-Meer-Gebiet natürlich in die gleiche literarische Linie hinein.
Nach dem Bericht des Photius (God. 250, 445b 37ff.) eröffnete
sein fünftes Buch ein sehr umfängliches Proömium dieser freien
epideiktischen Art, welches — einen bestimmten Adressaten an-
redend, 446 a 12 — scheinbar ganz losgelöst vom Inhalt des nach-
folgenden Buches eine artistische Einzelfrage erörtert, für Poesie
wie Prosa, und zwar die Frage nach der wirkungsvollsten Dar-
stellung schwersten menschlichen Unglücks, wir könnten auch
sagen: die kunstgerechte έλεεινολογία, oder: πώς τάς ύπερ-
βαλλούσας ένίοις άκληρίας τον έκτος των κινδύνων κείμενον1
πρέποντος έξαγγελτέον (445b 40). Das ist für das hellenistische
in Kunst und Literatur gleichmäßig hervortretende Streben nach
leidenschaftlicher und zugleich wirklichkeitstreuer Eindringlich-
keit eine sehr bezeichnende Fragestellung. Die Schlagworte dieser
nacharistotelischen Ästhetik, die darauf abhebt τούς αναγιγνώ-
σκοντας συμπαθείς ποιεΐν τοΐς λεγομένοις, sind έκπληξις und
ένάργεια; vgl. neben Leopoldis Dissertation de Agatharchide
Cnidio (Rostock 1892) 63ff. besonders Heinze, Virgils epische
Technik2 463ff.; Geigenmüller, Quaest. Dionys, de vocabulis
artis crit., Diss., Lips. 1908, 41; Scheller, De hellenistica hist,
conscr. arte, Diss. Lips. 1911, 57ff., neuerdings auch Kroll,
Sokr. 6 (1918) 81 ff. und Lillge ebd. 209 ff. und 279 ff.
Das Streben nach stärksten Eindrücken solcher Art ist aber
recht eigentlich ein Ausdruck des gesamten Lebensgefühles jener
Zeit. Auch hier einen einzelnen, den nachgerade zum Allerwelts-
1 Dieser aus Vermischung' mit den Konstruktionen von δει oder
χρή entstandene Akkusativ statt des Dativs gilt mit Unrecht für eine atti-
sche Besonderheit (Kühner-Gerth 1, 448). Bei Polybius stehen in 21 Fällen
zehn Akkusative neben elf Dativen, und zwar immer, wie hier auch, von
Partizipien (Hamilton Ford Allen, dass. Philol. 4, 1909, 55). Also nicht
etwa ein Attizismus des Agatharchides (oder gar: des Photius).