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Otto Immisch:
Akademie. Ganz peripatetisch wird aber da hinein fest eingeglie-
dert auch das οργανον für das ποιεΐν und das für das πράττειν.
Vor allem die so sich ergebende Auffassung der Kunst ist echt
aristotelisch. Auch sie ein οργανον γνοόσεως, auch das Schaffen des
Künstlers, das die Mitwirkung des λόγος von den verwandten Be-
tätigungen der Tiere unterscheidet, eine Betätigungsform des Er-
kenntnistriebes! Dieser in den landläufigen Behandlungen der
aristotelischen Kunstlehre viel zu wenig beachtete peripatetische
Standpunkt ist hier einmal ganz klar ausgesprochen, wo die Kunst
schlankweg unter den όργανα γνώσεως erscheint, die Mimesis also
nur eine besondere Form ist der Interpretation von Welt und Leben,
natürlich disiuncta a scientia, was sich mit den oben S. 5 be-
sprochenen ästhetischen Ansichten wohl vereinigen läßt.
Noch eine Frage regt § 19 an. Will das φασίν in der ersten
Zeile besagen: φασίν οί Πυθαγόρειοι ? Dann wäre freilich die
Schrift bereits der neupythagoreischen Literatur zuzurechnen.
Aber nichts nötigt zu dieser Auffassung, die allem bisher Ermittel-
ten widerstrebt. Wenn nicht eine Flüchtigkeit des Photius oder
gar eine Handschriftenverderbnis für φησίν vorliegt, so genügt
auch die Annahme, daß der Verfasser wie gewöhnlich meint:
Pythagoras Plato Aristoteles (und ihre Schulen). Er philosophiert
ja gar nicht selbst, er gibt einen harmonistischen Bericht, wobei
er freilich die eigenen Überzeugungen seiner voraussetzungsreichen
und in vielen Lagern heimischen Persönlichkeit mitbestimmend
sein läßt und ebenso den schriftstellerischen Zweck der ganzen
Einleitung. Und was er so zusammenstellt, ruht auf dem gleichen
dogmengeschichtlichen Boden und ist des gleichen Geistes, verrät
auch die gleiche Zeit, wie alles, was wir bisher von ihm kennen
lernten.
Die in § 20 folgende Bemerkung über άγχίνοια μνήμη όξύτης
steht ersichtlich in Zusammenhang mit dem Vorigen. Der Ver-
fasser wird sich von der erkenntnistheoretischen Grundlage aus
weiter über die geistigen Fähigkeiten des Menschen und deren
Entwicklung verbreitet und verschiedene geistige Typen unter-
schieden haben, u. a. den εύμαΤής, der dann in § 23 eine besondere
Rolle spielt. Dort zeigt sich, daß solcher Vorzug auch abhängig
ist von den Naturbedingungen des weiteren Lebensraumes, u. a.
vom Klima. So versteht es sich leicht, daß der Verfasser nochmals
die verschiedenen Bedeutungen von ουρανός streifte, aus welcher
Stelle Photius (wenn die Bemerkung nicht ihm persönlich zu eigen
Otto Immisch:
Akademie. Ganz peripatetisch wird aber da hinein fest eingeglie-
dert auch das οργανον für das ποιεΐν und das für das πράττειν.
Vor allem die so sich ergebende Auffassung der Kunst ist echt
aristotelisch. Auch sie ein οργανον γνοόσεως, auch das Schaffen des
Künstlers, das die Mitwirkung des λόγος von den verwandten Be-
tätigungen der Tiere unterscheidet, eine Betätigungsform des Er-
kenntnistriebes! Dieser in den landläufigen Behandlungen der
aristotelischen Kunstlehre viel zu wenig beachtete peripatetische
Standpunkt ist hier einmal ganz klar ausgesprochen, wo die Kunst
schlankweg unter den όργανα γνώσεως erscheint, die Mimesis also
nur eine besondere Form ist der Interpretation von Welt und Leben,
natürlich disiuncta a scientia, was sich mit den oben S. 5 be-
sprochenen ästhetischen Ansichten wohl vereinigen läßt.
Noch eine Frage regt § 19 an. Will das φασίν in der ersten
Zeile besagen: φασίν οί Πυθαγόρειοι ? Dann wäre freilich die
Schrift bereits der neupythagoreischen Literatur zuzurechnen.
Aber nichts nötigt zu dieser Auffassung, die allem bisher Ermittel-
ten widerstrebt. Wenn nicht eine Flüchtigkeit des Photius oder
gar eine Handschriftenverderbnis für φησίν vorliegt, so genügt
auch die Annahme, daß der Verfasser wie gewöhnlich meint:
Pythagoras Plato Aristoteles (und ihre Schulen). Er philosophiert
ja gar nicht selbst, er gibt einen harmonistischen Bericht, wobei
er freilich die eigenen Überzeugungen seiner voraussetzungsreichen
und in vielen Lagern heimischen Persönlichkeit mitbestimmend
sein läßt und ebenso den schriftstellerischen Zweck der ganzen
Einleitung. Und was er so zusammenstellt, ruht auf dem gleichen
dogmengeschichtlichen Boden und ist des gleichen Geistes, verrät
auch die gleiche Zeit, wie alles, was wir bisher von ihm kennen
lernten.
Die in § 20 folgende Bemerkung über άγχίνοια μνήμη όξύτης
steht ersichtlich in Zusammenhang mit dem Vorigen. Der Ver-
fasser wird sich von der erkenntnistheoretischen Grundlage aus
weiter über die geistigen Fähigkeiten des Menschen und deren
Entwicklung verbreitet und verschiedene geistige Typen unter-
schieden haben, u. a. den εύμαΤής, der dann in § 23 eine besondere
Rolle spielt. Dort zeigt sich, daß solcher Vorzug auch abhängig
ist von den Naturbedingungen des weiteren Lebensraumes, u. a.
vom Klima. So versteht es sich leicht, daß der Verfasser nochmals
die verschiedenen Bedeutungen von ουρανός streifte, aus welcher
Stelle Photius (wenn die Bemerkung nicht ihm persönlich zu eigen