Studien über Rudolf von Ems.
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nung für die höfische Gesellschaft und nicht in dem empfindungs-
tiefen Gehalt, den Gotfrid dem Worte verleiht. Ein bestimmterer
Sinn für edelez herze läßt sich aus dem Eingang von Rudolfs
Willehalm erschließen (s. unten).
Aber nicht nur aus allgemeinen ethischen Gründen wegen
ihrer Bedeutung in der Gedankenwelt des Rittertums räumte
Rudolf der Sselde diese führende Stellung in den theoretischen
Darlegungen der Prologe ein, sondern schon der Erzählungsstoff
mußte ihn dazu veranlassen, denn er sah an der wunderbaren
Lebensbahn seines Helden, daß ihn ein fabelhaftes, nie versagendes
Glück leitete (20545—20572, Junk S. 455f.). Und so beschäftigte
ihn das Glücksproblem überhaupt, und diese Stellen sind auf-
schlußreich für die schillernde Bedeutung des in sselde liegenden
Begriffes. Einmal ist sselde eine sittlich vernünftige Macht, die
dem Kausalitätsgesetz folgt. Das ist die stsete sselde 20545 ff., die
Alexander zur Höhe irdischer Herrlichkeit führte. Sie besitzt er
zu Recht und aus Vernunftgründen, denn sin witze (sein Verstand,
seine Weisheit, Alexander ist oft der wise heit genannt), also ze
sselden riet, daz er nie nihtes began im gelänge wol dar an 20548
bis 20550. Aber eine andere ist diu glesin sselde 20553, die wilde
sselde 20607—20620, die irre, flüchtige, die ihre Kinder im Stiche
läßt. Diese Sseldenkinder1 sind um ihren Lohn betrogen, anders
als Josaphat, der sselden harn Barl. 37, 36. 191, 40, den Gott
selbst zum höchsten Glücke, der Gotteserkenntnis, führte, und
anders als die gesegneten Kinder der wahren soelde bei Freidank
134, 2; es ist das glesine gelücke, dessen Nichtigkeit Meister Got-
frid in seinem Spruche kennzeichnet, Rud. Al. 2062f.; die wilsselde
der Kaiserchronik („Schicksal, das diu wile bestimmt“). Die wilde
sselde ist also gleichbedeutend mit gelücke2 *. Die stsete sselde ist die
1 J. Grimm, D. Mythologie4, S. 724.
2 J. Grimm, ebenda S. 715; Edw. Schröder, Kaiserchron., Reg.
S. 437; Röiirscheidt, Studien zur Kaiserchronik, Diss. Göttingen, 1907,
S. 44ff. — Auch die Unzuverlässigkeit der Fortuna in ihrem wilden Treiben
ist Gegenstand der Moralis philosophia (Migne 171, 1049AB): Invida
fatorum seevies usw. aus Lucanus, Fortuna ssevo Iseta negotio usw. aus
Horaz’ Oden. Hier auch die Verbindung des wechselnden Glücks mit den
unsicheren Ehren, wie im Prolog zum 6. Buch Sselde und ere wilde sint
20607 ff. Der Gedanke der Unbeständigkeit des Glücks ist breit ausgeführt
von Marcianus Capelia, De Nuptiis Cap. 52, darnach bei Notker, Piper 1,
761 f., und von Alanus im Anticlaudianus VIII Kap. 1, Migne 210, 559f.;
vgl. auch Heinzel a. a. O. S. 561 ff. bezw. 59ff.
Ehrismann, Studien über Rudolf von Ems.
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nung für die höfische Gesellschaft und nicht in dem empfindungs-
tiefen Gehalt, den Gotfrid dem Worte verleiht. Ein bestimmterer
Sinn für edelez herze läßt sich aus dem Eingang von Rudolfs
Willehalm erschließen (s. unten).
Aber nicht nur aus allgemeinen ethischen Gründen wegen
ihrer Bedeutung in der Gedankenwelt des Rittertums räumte
Rudolf der Sselde diese führende Stellung in den theoretischen
Darlegungen der Prologe ein, sondern schon der Erzählungsstoff
mußte ihn dazu veranlassen, denn er sah an der wunderbaren
Lebensbahn seines Helden, daß ihn ein fabelhaftes, nie versagendes
Glück leitete (20545—20572, Junk S. 455f.). Und so beschäftigte
ihn das Glücksproblem überhaupt, und diese Stellen sind auf-
schlußreich für die schillernde Bedeutung des in sselde liegenden
Begriffes. Einmal ist sselde eine sittlich vernünftige Macht, die
dem Kausalitätsgesetz folgt. Das ist die stsete sselde 20545 ff., die
Alexander zur Höhe irdischer Herrlichkeit führte. Sie besitzt er
zu Recht und aus Vernunftgründen, denn sin witze (sein Verstand,
seine Weisheit, Alexander ist oft der wise heit genannt), also ze
sselden riet, daz er nie nihtes began im gelänge wol dar an 20548
bis 20550. Aber eine andere ist diu glesin sselde 20553, die wilde
sselde 20607—20620, die irre, flüchtige, die ihre Kinder im Stiche
läßt. Diese Sseldenkinder1 sind um ihren Lohn betrogen, anders
als Josaphat, der sselden harn Barl. 37, 36. 191, 40, den Gott
selbst zum höchsten Glücke, der Gotteserkenntnis, führte, und
anders als die gesegneten Kinder der wahren soelde bei Freidank
134, 2; es ist das glesine gelücke, dessen Nichtigkeit Meister Got-
frid in seinem Spruche kennzeichnet, Rud. Al. 2062f.; die wilsselde
der Kaiserchronik („Schicksal, das diu wile bestimmt“). Die wilde
sselde ist also gleichbedeutend mit gelücke2 *. Die stsete sselde ist die
1 J. Grimm, D. Mythologie4, S. 724.
2 J. Grimm, ebenda S. 715; Edw. Schröder, Kaiserchron., Reg.
S. 437; Röiirscheidt, Studien zur Kaiserchronik, Diss. Göttingen, 1907,
S. 44ff. — Auch die Unzuverlässigkeit der Fortuna in ihrem wilden Treiben
ist Gegenstand der Moralis philosophia (Migne 171, 1049AB): Invida
fatorum seevies usw. aus Lucanus, Fortuna ssevo Iseta negotio usw. aus
Horaz’ Oden. Hier auch die Verbindung des wechselnden Glücks mit den
unsicheren Ehren, wie im Prolog zum 6. Buch Sselde und ere wilde sint
20607 ff. Der Gedanke der Unbeständigkeit des Glücks ist breit ausgeführt
von Marcianus Capelia, De Nuptiis Cap. 52, darnach bei Notker, Piper 1,
761 f., und von Alanus im Anticlaudianus VIII Kap. 1, Migne 210, 559f.;
vgl. auch Heinzel a. a. O. S. 561 ff. bezw. 59ff.
Ehrismann, Studien über Rudolf von Ems.
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