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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0035
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Studien über Rudolf von Ems.

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probabilis wiedergibt, und eben unde sieht, ebenmäßig und glatt,
und reine, das nach Trist. 4626 f. zu schließen so viel ist wie luter,
kristallin klar, durchsichtig, dilucide, distincte. Rede und vunt1
3155—3157 bezeichnen wohl im allgemeinen die Darstellung im
weitesten Sinn, die innere und die äußere Formgebung, Gehalt
und Sprache. Hervorgehoben wird die Richtigkeit (der nie falschen
trit mit v als che in siner rede getrat = er machte keine vitia), die Ein-
fachheit und Richtigkeit (ebensieht), doch dabei die große Fülle
(;viche, copiosus, apaplus, über), der Reichtum an Geist (sinneclich).
Zusammengefaßt wird Gotfrids Genie in 3161. 3162: er war ein
Künstler im Zuschneiden der Worte (verba) und ein Verkündiger
weiser Gedanken (sententiae, sensus).
Stellt man nun die eigentlich den Stil charakterisierenden
Attribute zusammen, so erhält man je nach der Verteilung auf
die drei Dichter folgende Tabellen: 1. auf alle drei wird angewendet:
guot; 2. auf Hartmann und Gotfrid, nicht aber auf Wolfram:
sieht (eben unde sieht), süeze; 3. auf Wolfram und Gotfrid, nicht
aber auf Hartmann: wilde, spsehe, wsehe; 4. nur auf Hartmann:
sanfte tuon, niht wurmseziges; 5. nur auf Wolfram: starc, in manege
wis gebogen, fremde spräche; 6. nur auf Gotfrid: reine, reht, volle-
komen. Wenn man die Verteilung negativ wendet, so ergibt sich
folgendes: Hartmanns Stil ist nicht wilde und spsehe wie der
Wolframs und Gotfrids, Wolframs Stil nicht sieht und süeze wie
der Hartmanns und Gotfrids, Gotfrids Stil aber umfaßt alle Eigen-
schaften, die Hartmann und Wolfram zukommen2 und dazu noch
einige mehr. An Hartmanns Sprache werden Einfachheit und
Anmut hervorgehoben; an Wolframs die Kraft (starc), Schwulst
(in manege wis gebogen), Phantasie (wilde, mit vremden sprächen
wsehe), Kunstfertigkeit (spsehe), von Anmut ist nicht die Rede;
Gotfrid vereinigt Hartmanns Einfachheit und Anmut mit Wolf-
rams Phantasie und Kunstfertigkeit, Anmut und Ebenmaß unter-
scheidet ihn aber von der Kraft3 und Ausschweifung Wolframs.
Deutlich unterscheidet Rudolf die Ausdrucksweisen: Hart-
mann dichtet in der mittleren, der gemäßigten Stilart, Gotfrid
sowohl in der mittleren als in der höheren, der reich geschmückten,
Wolfram in der höheren, aber nicht ohne deren Auswüchse. Diese
1 Vunt (inventio), prov. trobar, trobador, die Erfindung und das Er-
fundene; vgl. Singer, Aufsätze und Vorträge, S. 171.
2 v. Kraus bei Junk, Beitr. 29, 468.
3 Anmut—Kraft, vgl. suavitas — vis, Cicero, Orator, s. oben S. 26.
 
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