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Gustav Ehrismann:
Vereinigung mit Gott findet. Er hat die Mönchsmoral, die höchste
Stufe der Vollkommenheit1. Den Sinn der Dichtung gibt Rudolf
selbst an im Epilog 404, 5 — 14: es ist der Kampf gegen die Welt,
ez ist der weite widerstrit. Der Barlaam ist eine didaktische Legende,
das Lehrhafte nimmt gegenüber der Erzählung einen sehr großen
Raum ein. In fünftausend sechshundert und siebenzig Versen,
50, 7 —177, 36, in der Katechumenenlehre, die Barlaam als Vor-
bereitung zur Taufe dem Josaphat erteilt, wird das christliche
Dogma in mönchischem Geiste entwickelt: Trinität, die biblische
Geschichte des alten und des neuen Testamentes, jenes als der Vor-
bereitung, dieses als der Erfüllung, die Dinge nach dem Tode,
Sünden und Tugenden, Bedeutung der Taufe, Lostrennung von
der Welt. Wird in dieser Christenlehre das Christentum als die
wahre Religion erwiesen, so gilt die Disputation Nachors mit den
heidnischen Meistern 230, 19 — 276, 2 der Widerlegung des Aber-
glaubens der Heiden — Chaldäer, Griechen, Ägypter — und Juden
(1774 Verse); und in dem Religionsgespräch Josaphats mit dem
alten Heiden Theo das wird die Nichtigkeit der heidnischen Ab-
götter gegenüber der Macht Gottes erwiesen 318, 13—333, 20 (648
Verse). In diesen drei großen Lehrstücken wird der Gegensatz, der
das ganze Gedicht durchzieht, der weite widerstrit, als Kampf des
Christentums gegen das Heidentum, des Gottesstaates gegen den
Weltstaat, dogmatisch entwickelt. Damit hat Rudolf schon im
Barlaam das Thema bearbeitet, das er später in der Weltchronik
in viel umfassenderer Weise auszuführen die Aufgabe hatte.
Aber noch eine andere, eine viel gefährlichere Welt als die der
Heiden und Juden hat der fromme Christ zu bekämpfen, das ist
die in seinem eigenen Herzen, und unter all den weltlichen Mäch-
ten, die ihm von hier aus drohen, ist die mächtigste die Minne.
Da der zur Heiligung drängende Jüngling dem Minnezauber
widerstrebt, hat er die schwerste Prüfung bestanden 290, 8—309,
242. Er lernt erkennen, daß das Weib eine Ausgeburt des Teufels
ist (293, 33f. 294, 21. 295, 1). Hier aber regt sich in Rudolf das
Weltkind. Gegen dieses Verdammungsurteil des Weibesnamens
1 Gerhard besitzt das ethische Grundgefühl, das Mitleid, er lindert
das Leiden des Lebens der Menschheit; Josaphat, der Asket, hebt in sich
das Leiden überhaupt auf durch Verneinung des Willens zum Leben.
2 Es ist die Szene, die Richard Wagner in seinem Parsifal benutzt
hat, vgl. bes. Petsch, Zur Quellenkunde des Parsifal, R.-Wagner-Jahrb. IV,
138ff.; Gurt R. Hoi-iberger, Die Entstehungsgeschichte von Wagners
„Parsifal“, Leipzig 1914, S. 156ff.
Gustav Ehrismann:
Vereinigung mit Gott findet. Er hat die Mönchsmoral, die höchste
Stufe der Vollkommenheit1. Den Sinn der Dichtung gibt Rudolf
selbst an im Epilog 404, 5 — 14: es ist der Kampf gegen die Welt,
ez ist der weite widerstrit. Der Barlaam ist eine didaktische Legende,
das Lehrhafte nimmt gegenüber der Erzählung einen sehr großen
Raum ein. In fünftausend sechshundert und siebenzig Versen,
50, 7 —177, 36, in der Katechumenenlehre, die Barlaam als Vor-
bereitung zur Taufe dem Josaphat erteilt, wird das christliche
Dogma in mönchischem Geiste entwickelt: Trinität, die biblische
Geschichte des alten und des neuen Testamentes, jenes als der Vor-
bereitung, dieses als der Erfüllung, die Dinge nach dem Tode,
Sünden und Tugenden, Bedeutung der Taufe, Lostrennung von
der Welt. Wird in dieser Christenlehre das Christentum als die
wahre Religion erwiesen, so gilt die Disputation Nachors mit den
heidnischen Meistern 230, 19 — 276, 2 der Widerlegung des Aber-
glaubens der Heiden — Chaldäer, Griechen, Ägypter — und Juden
(1774 Verse); und in dem Religionsgespräch Josaphats mit dem
alten Heiden Theo das wird die Nichtigkeit der heidnischen Ab-
götter gegenüber der Macht Gottes erwiesen 318, 13—333, 20 (648
Verse). In diesen drei großen Lehrstücken wird der Gegensatz, der
das ganze Gedicht durchzieht, der weite widerstrit, als Kampf des
Christentums gegen das Heidentum, des Gottesstaates gegen den
Weltstaat, dogmatisch entwickelt. Damit hat Rudolf schon im
Barlaam das Thema bearbeitet, das er später in der Weltchronik
in viel umfassenderer Weise auszuführen die Aufgabe hatte.
Aber noch eine andere, eine viel gefährlichere Welt als die der
Heiden und Juden hat der fromme Christ zu bekämpfen, das ist
die in seinem eigenen Herzen, und unter all den weltlichen Mäch-
ten, die ihm von hier aus drohen, ist die mächtigste die Minne.
Da der zur Heiligung drängende Jüngling dem Minnezauber
widerstrebt, hat er die schwerste Prüfung bestanden 290, 8—309,
242. Er lernt erkennen, daß das Weib eine Ausgeburt des Teufels
ist (293, 33f. 294, 21. 295, 1). Hier aber regt sich in Rudolf das
Weltkind. Gegen dieses Verdammungsurteil des Weibesnamens
1 Gerhard besitzt das ethische Grundgefühl, das Mitleid, er lindert
das Leiden des Lebens der Menschheit; Josaphat, der Asket, hebt in sich
das Leiden überhaupt auf durch Verneinung des Willens zum Leben.
2 Es ist die Szene, die Richard Wagner in seinem Parsifal benutzt
hat, vgl. bes. Petsch, Zur Quellenkunde des Parsifal, R.-Wagner-Jahrb. IV,
138ff.; Gurt R. Hoi-iberger, Die Entstehungsgeschichte von Wagners
„Parsifal“, Leipzig 1914, S. 156ff.