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Friedrich Brie:
tischer Visionen, die von den Dichtern — seltener auch von den
Malern •— immer wieder für ihre Zwecke verwendet werden:
die architektonischen Visionen, die zumeist die Form endloser
prächtiger Marmorpaläste, Hallen oder Treppen annehmen, die sich
in immer weitere Räume verlieren; die plastischen Visionen, die
zumeist in der Form von nicht enden wollenden, am Beschauer
vorüberziehenden Marmorfriesen auf treten; ferner Visionen von
bewegten auf- und abwogenden Menschenmassen und endlich
die das Ich-Bewußtsein berührenden, die eine interessante Gruppe
für sich bilden. Unter diesen letzteren tritt besonders hervor
einmal der Zustand des überirdischen Wohlbehagens, gewöhn-
lich in der Form eines wunschlosen Dahinschwebens, bei dem
der Körper seine Schwere zu verlieren und ausgeschaltet zu sein
scheint, verbunden oft mit einem Gefühl äußerster Zufrieden-
heit mit sich selbst, eines Übermenschentums oder selbst der
Gottähnlichkeit; zum andern das Schwinden des Zeitsinns, ein
Zustand, in dem Minuten bis zu Jahrtausenden sich ausdehnen,
und endlich die Wandlüng oder Spaltung des Ichs, ein Zustand,
bei dem das Ich des Betreffenden in andere lebende oder tote
Wesen übergeht, selbst in die Arabesken einer Tapete oder in
den Rauch der Pfeife.
Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Alle drei Arten
des Exotismüls, des Raumes!, der: Zeit und der narkotischen Empfin-
dungen, laufen äuf ein und dasselbe hinaus, laluf den Wunsch, sich
aus der Wirklichkeit z'u flüchten in ein Reich fremdartiger,
schrecklich-schöner, ungeheuerlicher, die Sinne befriedigender
Emotionen. Die nahe Verwandtschaft der drei Arien zeigt sich schon
daran, daß sie sich gar nicht säuberlich voneinander trennen
lassen, vielmehr bei einer ganzen Reihe von Exotisten sich alle
drei, oder wenigstens zwei von ihnen, in irgendeiner Kombi-
nation vereinigt finden. So sucht der Exotist in der Antike oder
Renaissance gern die ,,, orientalische“ Seite, das Üppige, Farben-
sprühende, Fremdartige und Zügellose, oder er sucht und findet
in seinen Visionen Bilder von „orientalischer“ und „antiker“
Färbung.13 Mit Antike, Orient, Renaissance und den Visionen
der Narkose dürfte im großen und ganzen der Umfang der exo-
tistischen Erscheinungen sich erschöpfen; ihre Ähnlichkeit unter-
einander beruht auf der gemeinschaftlichen Basis, der Forderung
13 Auch FARRERE schildert a. a. 0. eine Reihe „orientalischer“ Opium-
visionen.
Friedrich Brie:
tischer Visionen, die von den Dichtern — seltener auch von den
Malern •— immer wieder für ihre Zwecke verwendet werden:
die architektonischen Visionen, die zumeist die Form endloser
prächtiger Marmorpaläste, Hallen oder Treppen annehmen, die sich
in immer weitere Räume verlieren; die plastischen Visionen, die
zumeist in der Form von nicht enden wollenden, am Beschauer
vorüberziehenden Marmorfriesen auf treten; ferner Visionen von
bewegten auf- und abwogenden Menschenmassen und endlich
die das Ich-Bewußtsein berührenden, die eine interessante Gruppe
für sich bilden. Unter diesen letzteren tritt besonders hervor
einmal der Zustand des überirdischen Wohlbehagens, gewöhn-
lich in der Form eines wunschlosen Dahinschwebens, bei dem
der Körper seine Schwere zu verlieren und ausgeschaltet zu sein
scheint, verbunden oft mit einem Gefühl äußerster Zufrieden-
heit mit sich selbst, eines Übermenschentums oder selbst der
Gottähnlichkeit; zum andern das Schwinden des Zeitsinns, ein
Zustand, in dem Minuten bis zu Jahrtausenden sich ausdehnen,
und endlich die Wandlüng oder Spaltung des Ichs, ein Zustand,
bei dem das Ich des Betreffenden in andere lebende oder tote
Wesen übergeht, selbst in die Arabesken einer Tapete oder in
den Rauch der Pfeife.
Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Alle drei Arten
des Exotismüls, des Raumes!, der: Zeit und der narkotischen Empfin-
dungen, laufen äuf ein und dasselbe hinaus, laluf den Wunsch, sich
aus der Wirklichkeit z'u flüchten in ein Reich fremdartiger,
schrecklich-schöner, ungeheuerlicher, die Sinne befriedigender
Emotionen. Die nahe Verwandtschaft der drei Arien zeigt sich schon
daran, daß sie sich gar nicht säuberlich voneinander trennen
lassen, vielmehr bei einer ganzen Reihe von Exotisten sich alle
drei, oder wenigstens zwei von ihnen, in irgendeiner Kombi-
nation vereinigt finden. So sucht der Exotist in der Antike oder
Renaissance gern die ,,, orientalische“ Seite, das Üppige, Farben-
sprühende, Fremdartige und Zügellose, oder er sucht und findet
in seinen Visionen Bilder von „orientalischer“ und „antiker“
Färbung.13 Mit Antike, Orient, Renaissance und den Visionen
der Narkose dürfte im großen und ganzen der Umfang der exo-
tistischen Erscheinungen sich erschöpfen; ihre Ähnlichkeit unter-
einander beruht auf der gemeinschaftlichen Basis, der Forderung
13 Auch FARRERE schildert a. a. 0. eine Reihe „orientalischer“ Opium-
visionen.