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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0015
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Exotismus der Sinne.

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der Sinne nach 'ungewöhnlichen Empfindungen, welche* die
Gegenwart nicht zu bieten vermag. Wohl gibt es noch andere
Welten, in die 'der Mensch, vor allem der Künstler, fliehen kann,
idyllische, mystische, exzentrische und krankhafte Visionen der
verschiedensten Art, aber sie entspringen anderen Bedürfnissen
und Ursachen und sind in der Regel leicht abzugrenzen gegen-
über der Welt des Exotismus, selbst wenn sie sich hei ein und
derselben Persönlichkeit finden; das gilt seihst von den phan-
tastischen und grausigen Visionen eines Ho ff mann, Maturin, Poe
oder Baudelaire. Eine Möglichkeit, mit der wir stets zu rechnen
haben, ist endlich die, daß die Vorstellungen der Exotisten von
Altertum, Renaissance und Orient, ja seihst der Inhalt narko-
tischer Visionen, auch Von denen aufgegriffen werden, denen
eine entsprechende Veranlagung von Haus aus nur in sehr ge-
ringem Maße oder auch gar nicht innewohnt, und somit wie
anderes literarisches Gut in einer abgeblaßten oder verfeinerten
Form von Hand izu Hand wandern.
Eine schwierige Frage ist naturgemäß, ob wir mit der Er-
scheinung des Exotismus .bereits vor der Romantik in älteren
Perioden zu rechnen haben, ob wir etwa in der Art und Weise,
wie bei einigen Geistern der italienischen Renaissance, bei einem
Panormita14 oder Aretino, sich die Wiedererweckung der heid-
nischen Antike mit aller ihrer Sinnenfreude vollzieht, in der Art,
wie Francisco Goloüna in den Visionen der „Hypnerotomachia
Polipliili“ sich Cythera ausmalt, oder in der Art, wie manche
Fürsten und Päpste der Renaissance die Antike wieder auf-
nehmen, etwas dem modernen Exotismus Entsprechendes zu
sehen haben. Die Frage wird uns schon dadurch nahe ge-
legt, daß eine Reihe von Exotisten. außer an die Antike
oder den Orient auch an die Renaissance anknüpfen und
in den Taten der Borgias oder den Malereien eines Correggio
ihr Ideal entdecken. Daß die Intensität der Sinne in früheren
Jahrhunderten nicht eine ähnliche gewesen sein sollte wie in
der Zeit der Romantik, ist schwerlich anzunehmen. Dazu kommt,
daß Tacitus, Sueton, Juvenal und Petronius, ebenso Lipsius
(De gladiatoribus) oder Meursius (De luxu Romanorum) und
Kobierzyckus (De luxu Romanorum), denen die späteren
Exotisten ihr Bild der Antike zu entnehmen pflegen, in der
14 Vgl. .besonders die Widmung des Hermaphrodifus an Gosimo de
Medici ca. 1410. i (
 
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